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Nachbarin mußte sterben - sie war zu laut

■ Student wegen Mordes an seiner 23jährigen Nachbarin vor Gericht / Er tötete sie mit neun Messerstichen, weil er sich durch angeblichen Lärm aus ihrer Wohnung schikaniert fühlte / „Laute Musik, Trampeln, widerwärtiges Stöhnen“ /„Sie hat meine Zukunft kaputtgemacht“

„Wenn mich der Lärm nicht belästigt hätte, hätte mich die Frau überhaupt nicht interessiert“, versicherte der 31jährige Student Klaus S., der seit gestern wegen Mordes vor der 29.Strafkammer des Landgerichts steht. Der Student der Elektrotechnik hatte am 28. November vergangenen Jahres gegen acht Uhr morgens im Treppenhaus der Bingerstraße 88 in Wilmersdorf die 23jährige Manuela C. mit neun Messerstichen getötet.

Manuela C. hatte im Stockwerk über Klaus S. gewohnt. Der Angeklagte gab gestern an, seit dem Einzug von Manuela C. unter einer unerträglichen Lärmbelästigung aus ihrer Wohung gelitten zu haben und deshalb „seelisch völlig runter“ gewesen zu sein. Er habe der Frau an jenem Morgen jedoch nicht - wie von der Staatsanwaltschaft in der Mordanklage angenommen - aufgelauert, um sie zu töten. Zu der Tat sei es vielmehr eher spontan gekommen, als er Manuela C. zufällig im Treppenhaus begegnet sei. Genaueres, als daß er „ein paar Augen“ gesehen und sich beim ihm „alles zusammengezogen“ habe, wisse er darüber nicht zu sagen.

Klaus S., der seit frühester Kindheit in dem Haus Bingerstraße 88 wohnt, bezog vor mehreren Jahren eine im Hochparterre freiwerdende Wohnung umittelbar neben der seiner Eltern. Vor Gericht bestätigte er gestern, ein „Einzelgänger“ zu sein, der außer zu seinen Eltern keinen Kontakt zu anderen Menschen hatte. In einem Lokal sei er nur ein einziges mal in seinem Leben gewesen, sagte Klaus S., den außer „stillen Vergnügungen“ wie Musikhören und einer Kakteenzucht nur sein Studium interessierte. Auf das Studium der Elektotechnik an der TU hatte er seinen ganzen Tagesablauf abgestimmt.

Vomittags die Vorlesungen, nachmittags zu Hause die „schriftlichen Arbeiten“ - weil man während des „Berufsverkehrs“ nicht geistig arbeiten könne - und nachts, „wenn alles sehr still war“, die geistigen Arbeiten. Das lief „sehr gut“, solange in der Wohnung über Klaus S. eine über 80jährige Rentnerin wohnte, die jedoch im Dezember 1986 starb. Daß der Angeklagte überempfindlich, um nicht zu sagen krankhaft, auf Geräusche reagiert, zeigte sich daran, daß er sich schon Lärmbelästigungen ausmalte, als die Wohnung über ihm noch gar nicht wieder vermietet war. Und so ging der Trouble, der für die Nachmieterin Manuela C. tödlich enden sollte, auch schon los, als diese die Wohnung zum ersten Mal mit einem Bekannten betrat: Der Angeklagte wummerte von unten gegen die Decke, weil er sich durch das Radio gestört fühlte; nachdem es abgestellt wurde, stand er um 22 Uhr selbst vor Manuelas C.s Tür, weil die Stimmen „so laut“ waren. Von nun an deutete der Angeklagte die Geräusche aus der Wohung über ihm so, daß sie eigens gemacht würden, um ihn zu schikanieren: Dem Trampeln, Springen, „widerwärtigem Stöhnen“ und lauter Musik - von dem er Magenschmerzen und Händeflattern bekommen habe - sei er zunächst entflohen, indem er im Park oder bei seinen Eltern studiert habe. Später habe er mit Gegenmaßnahmen wie lauter Musik seinerseits auf den Lärm von oben reagiert.

Die Hausverwaltung reagierte auf Klaus S.‘ Beschwerden mit dem Vermerk, er sei „offensichtlich überempfindlich“, weil es über Manuela C. ansonsten keinerlei Klagen aus dem Haus gab. Klaus S. hingegegen hatte sich, seiner ersten Aussage bei der Polizei zufolge, so durch die junge Frau gestört gefühlt, daß ihr Tod für ihn „wie eine Befreiung war“.

Sie habe seine Zukunft kaputtgemacht, weil er sich nicht mehr auf seine Studienarbeit habe konzentrieren können. Auf Nachfrage, wie er den Lärm in der U-Haft ertrage, sagte er, „90 Prozent der Zeit“ Ohropax in den Ohren zu haben. Der Prozeß wird Mittwoch fortgestzt.

plu

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