: Für ein Pro-Planeten-Bündnis
Die Vorsitzende der britischen Grünen, Jean Lambert, über die Perspektiven ihrer Partei nach dem überraschend hohen Erfolg bei den Europawahlen ■ I N T E R V I E W
taz: Ihr seid von 0,3 Prozent bei den Unterhauswahlen 1987 auf jetzt 15 Prozent hochgeschossen und damit zur drittstärksten Partei Großbritanniens geworden. Habt ihr so ein Ergebnis erwartet?
Jean Lambert: Nicht in unseren kühnsten Träumen. Nach den Gemeindewahlen im Mai, wo wir etwa 8,5 Prozent der Stimmen erhalten hatten, schraubten wir unsere Erwartung auf eine Million Stimmen hoch, also etwa sieben Prozent. Aber das tatsächliche Ergeb nis - 2,3 Millionen Stimmen, 15 Prozent - hat uns den Atem geraubt.
Die Konservativen bezeichnen euch jetzt als „Extremisten“ und „Linksradikale“ und behaupten, eure Wähler hätten nicht gewußt, was sie wählen.
Wir haben in unserem Wahlkampf keinen Hehl aus unseren Positionen gemacht: außer Umweltschutz zum Beispiel für einen neuen Wirtschaftstyp - gegen ökonomisches Wachstum; gesichertes Mindesteinkommen für alle; einseitige, bedingungslose Entfernung aller Atomwaffen aus Großbritannien. Außerdem ist das eine Beleidigung all unserer Wähler.
Wer sind eure Wähler?
Wahlforscher haben gesagt, daß wir hauptsächlich Stimmen bekommen haben von bisherigen Wählern der Konservativen, der „Demokraten“ und der SDP, den von Labour abgespaltenen Sozialdemokraten. Das hat natürlich die Torys erstaunt, weil sie uns immer als linke Konkurrenz der Labour Party angesehen haben.
Ihr habt ein Nord-Süd-Gefälle zu verzeichnen: In Schottland stimmten nur sieben Prozent, im Norden Englands zwölf Prozent und im prosperierenden Süden 19 Prozent für euch. Das interpretieren die Medien so, daß eure Wähler hauptsächlich wohlhabend sind und aus den Mittelschichten kommen.
Eindeutige Beweise für diese These habe ich bisher nicht gesehen. Zu meinem Wahlkreis im Osten Londons gehören die beiden ärmsten Bezirke Großbritanniens, und wir haben hier mit 18 Prozent überdurchschnittlich gut abgeschnitten. Auf der Straße haben wir während des Wahlkampfes von einem sehr breiten Spektrum von Leuten positive Reaktionen erhalten.
Welche Gründe siehst du für euren Durchbruch?
Viel mehr Menschen als noch vor einigen Jahren machen sich Sorgen um die Umwelt. Es gibt viel Unzufriedenheit über die Verschmutzung des Wassers und über die von der Regierung geplante Privatisierung der Wasserwirtschaft. Das Abrücken der Labour Party von der Forderung nach einseitiger nuklearer Abrüstung hat auch eine Rolle gespielt. Die Menschen haben unsere klare Alternative und unsere Vision honoriert.
Aber ihr seid doch mehr wegen der Ökologie als wegen eurer Ablehnung von Atomwaffen gewählt worden.
Sicher werden wir hauptsächlich als Umweltpartei und noch nicht als die radikale Alternative zum gegenwärtigen politischen System angesehen. Aber wir haben eben auch mit unseren anderen Positionen nicht hinter dem Berg gehalten.
Außerdem ging es doch bei diesen Wahlen um herzlich wenig, weil das EG-Parlament kaum etwas zu sagen hat. Befürchtest du nicht, daß die Führer der anderen Oppositionsparteien, Neil Kinnock und Paddy Ashdown, recht behalten, wenn sie sagen, daß ihr bei den Unterhauswahlen keine Chancen habt?
Das müssen sie doch sagen! Wenn sie sagen würden: Ja, die Grünen sind da und werden jetzt bleiben, müßten sie Fehler in ihrer eigenen Politik zugeben.
Werden sie denn Erfolg damit haben? Es ist ja bekannt, daß bei nationalen Wahlen in Großbritannien anders gewählt wird.
Das stimmt, die Wahlbeteiligung ist dann doppelt so hoch. Bei Wahlen in der Mitte der Legislaturperiode spielt das Moment des Protestes immer eine Rolle. Vielleicht geht unser Wahlergebnis bei den nationalen Wahlen 1991/92 runter, aber es wird nicht verschwinden. Die Menschen haben angefangen zu erkennen, daß grün zu wählen etwas bewirkt. Der EG-Kommissar für Umweltfragen hat angekündigt, Großbritannien besuchen und uns dabei sprechen zu wollen. Aus der Regierung hört man, daß im Sommer definitiv ein Umweltministerium eingerichtet wird. Selbst wenn vieles indirekt ist, zeigen diese Beispiele in der Öffentlichkeit, daß die Grünen etwas bewegen.
Wie geht es jetzt bei euch weiter?
Wir müssen alles neu durchdenken und diskutieren. Wir haben erst angefangen, uns bewußt zu machen, was zwei Millionen Wählerstimmen wirklich bedeuten. Zum Beispiel überlegen wir, symbolisch eine Fraktion von elf oder zwölf Grünen nach Straßburg ins Europaparlament zu schicken, auch wenn wir wegen des Mehrheitswahlrechts in Großbritannien keine Abgeordnetensitze gewonnen haben. Sicher wird die Forderung nach einem Verhältniswahlrecht einen hohen Stellenwert einnehmen.
Wollt ihr euch mehr in Richtung Pressure-group oder mehr in Richtung Partei entwickeln?
Wir haben uns, seit wir uns 1973 gegründet haben, immer mehr als Partei denn als Pressure-group gesehen und verhalten. Jetzt stehen wir unter einem noch stärkeren Erwartungsdruck der Öffentlichkeit, als richtige nationale Partei zu agieren. Jetzt wird an uns zum Beispiel die Frage gestellt: Seid ihr eine regierungsfähige Partei? Das hat uns vor einem Jahr noch niemand gefragt.
Ist Thatchers Zeit abgelaufen?
Es würde mich nicht wundern, wenn sie die Tories in den nächsten Wahlkampf führt und sofort danach geht...
...nachdem die Konservativen die Wahlen verloren haben?
Nein, ich glaube, sie werden die Wahlen gewinnen. Sie haben genug Bastionen, um bei unserem verrückten Mehrheitswahlsystem eine deutlich verringerte, aber immerhin eine Mehrheit im Parlament zu erreichen. Ich bin nämlich nicht davon überzeugt, daß der Schwung der Labour Party anhält.
Wollt ihr denn, daß die konservative Regierung abgelöst wird?
Ja natürlich, auch wenn ich den Konservativen allerlei Flexibilität zum Beispiel in ökologischen Fragen zutraue, wenn sie damit ihren Machterhalt sichern zu können glauben. Das Ausmaß an Armut, das sie erzeugt haben, ist beschämend. Und ihre Atomwaffengeilheit ist gefährlich.
Aber wie wollt ihr bei diesem Wahlrecht einen Regierungswechsel erreichen?
Das ist wirklich schwer zu sagen. Es gibt allerlei Diskussionen über eine Anti-Thatcher-Allianz, eine Regenbogenkoalition mit Absprachen, wer in welchem Wahlkreis kandidieren soll. Die Chance, Labour für so etwas zu gewinnen, halte ich aber für gleich Null. Die fühlen sich jetzt als Sieger.
Sollten denn die Grünen für eine solche Allianz werben?
Wir haben noch keinerlei klare Vorstellungen über unser Verhalten bei den nächsten nationalen Wahlen. Wir haben gerade einen Fragebogen an unsere Gruppen geschickt, um herauszufinden, was sie von der Idee einer Zusammenarbeit mit anderen politischen Gruppierungen halten und auf welcher Grundlage sie bereit wären, eine Kooperation zu unterstützen. Ich persönlich bin der Meinung, wenn wir Stellung beziehen, dann müssen wir uns für eine Pro-Planeten -Bündnis und nicht für eine Anti-Thatcher-Allianz aussprechen.
Wage einmal eine Prognose: Wie sieht es für dich persönlich und für die britischen Grünen in fünf Jahren aus?
Da möchte ich EG-Abgeordnete sein. Und für die grüne Partei ist es jetzt nicht unmöglich, bei den nächsten Unterhauswahlen Abgeordnetenmandate zu gewinnen. Ich hoffe, daß dann eine Umgruppierung der politischen Kräfte um die Achse grüne/nichtgrüne Politik begonnen hat, bei der die grüne Partei die Debatte anführt. Wir streben danach, das Establishment aufzubrechen. Wir wissen, daß es schon jetzt in allen anderen Parteien Leute gibt, die entschieden für eine Zusammenarbeit mit uns eintreten. Wir müssen erreichen, daß sie ihre Parteien verlassen und sich mit uns für eine neue Politik einsetzen. In fünf Jahren werden wir in dieser Richtung schon ein erhebliches Stück weiter sein.
Das Gespräch führte Jerry Sommer, Londo
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