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Alle sind unschuldig

Der Ärger Washingtons über die neue Chemie-Export-Affäre hat gute Grüne  ■ K O M M E N T A R E

Auf den ersten Blick eine merkwürdige Situation: alle haben recht. Die USA mit ihrem Vorwurf, die bundesdeutsche „Rheineisen Export-Gesellschaft“ sei an der Lieferung der chemiewaffenfähigen Substanz Thionylchlorid über Indien nach Iran beteiligt gewesen; die Firma mit ihrer Behauptung, das Außenwirtschaftsgesetz „zumindest formal“ nicht verletzt zu haben; und auch die Bundesregierung, wenn sie beteuert, anders als im Fall der Imhausen-Lieferungen nach Libyen sofort gehandelt und nicht erst auf „gerichtsverwertbare Tatsachen“ gewartet zu haben. Wer hier welches Spiel spielt wird erst klar bei Heranziehung aller Fakten und Motive:

Rheineisen hat im Februar 89 die Genehmigungen der bundesdeutschen Behörden für das Geschäft erhalten. Zu dem Zeitpunkt war das formal noch kein Verstoß, weder gegen nationale Ausfuhrbestimmungen noch gegen die von der „Australischen Gruppe“ (19 westliche Staaten und die EG) seit 1985 vereinbarten Exportrestriktionen. Denn auf deren Liste von Substanzen, die wegen ihrer Bedeutung für die C -Waffenproduktion Exportverboten, -einschränkungen oder doch zumindest Kontrollen unterliegen, war Thionychlorid bis dato nicht aufgeführt.

Weswegen die USA überziehen, wenn sie jetzt behaupten, Rheineisen wolle einen eindeutigen C-Waffenbestandteil in den Iran liefern. Thioylchlorid findet auch in vielen zivilen Produktionsbereichen eine Anwendung, kann aber eben auch für Chlorierungsverfahren bei der Senfgasherstelung verwendet werden. Deswegen drängten Bonns 19 Partner in der „Australischen Gruppe“ seit langem darauf, die Substanz wenigstens auf eine Warnliste zu setzen, bei der vor Exporten in bestimmte Länder zumindest Konsultationen innerhalb der Gruppe stattfinden müssen. Erst im April dieses Jahres stimmte die Bundesregierung unter dem Eindruck der Libyen-Affäre der Aufführung von Thionylchlorid auf der Warnliste zu und machte den Export der Substanz genehmigungspflichtig nach dem nationalen Außenwirtschaftsgesetz. Wobei die scheinheilige Differenzierung zwischen Export einerseits und Vermittlung von Lieferungen über Drittländer andererseits zeigt, daß die vollmundigen Bonner Ankündigungen nach der Libyen-Affäre eben doch mehr der Beruhigung Washingtons dienen sollten und die effektive Unterbindung von Geschäften mit c -waffenfähigen Substanzen nicht ernsthaft gewollt war. Bei dem Ärger Washingtons darüber spielen natürlich auch Konkurrenzgesichtspunkte eine Rolle. Thionychlorid wird außer in Indien und Japan nur noch von US-Firmen hergestellt, die ein großes Interesse daran haben, daß Zurückhaltung im Export überall gilt. Interessant ist auch der Zeitpunkt, zu dem der, den Geheimdiensten und Regierungen ja mindestens seit Februar bekannte Vorgang jetzt durch US-Medien an die Öffentlichkeit kommt.

Die Bekanntmachung des jüngsten Skandals soll auch die Glaubwürdigkeit der Bonner Forderung nach einem schnellen Abschluß der Genfer Verhandlungen beeinträchtigen und liefert Washington zugleich neue Argumente für seine Forderungen nach weiteren Verifikationsbestimmungen sowie nach Vereinbarungen gegen die C-Waffenproliferation anstelle eines weltweiten Verbots.

Andreas Zumach

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