: Aus dem Rahmen gefallen
■ Lenz‘ „Der Hofmeister“ in Mannheim und Schnitzlers „Der Ruf des Lebens“ in Heidelberg - die letzten Premieren im Süden der Republik
Schon wieder ist Theaterpause, und wie jedes Jahr gibt es zum Schluß noch einmal Premieren, die fast unbeachtet bleiben. Die Stücke sind nur noch kurz zu sehen und werden zu Beginn der neuen Spielzeit schon wieder zur alten Saison gezählt. In Heidelberg und Mannheim trifft dieses Los eine junge Regisseurin und einen jungen Regisseur, die für die beiden Theater - so verspricht es ihre Arbeit - wichtig werden. Sie haben sich Stücke vorgenommen, die noch zu entdecken sind - Schnitzlers Der Ruf des Lebens - oder erst vor kurzem für die Bühne entdeckt wurden - Jakob Reinhold Michael Lenz' Der Hofmeister:
Ein Schulmeister liegt quer über dem Tisch. Die Strümpfe rutschen, das Haar steht wirr. Manfred Trabant ist in Mannheim der Dorflehrer Wenzeslaus, und er spielt ihn als rebellischen Anarchisten mit einem Hang zu Sadismus und religiösem Dogmatismus. Der andere, der Hofmeister, nach dem der Sturm- und Drang-Jugendfreund Goethes, J.R.M.Lenz, sein Stück benannte, steht etas schief im Raum - er hat sich gerade selbst entmannt, damit er nicht mehr wie ein läufiger Hund durchs Stück hetzt. Lenz hat ihn sinnigerweise Läuffer genannt. Auf der Bühne in Mannheim geht es furios zu, die beiden Pädagogen haben nichts Klassisches mehr an sich. Wir befinden uns in einem Stück jenes Dichters, der Ende des 18.Jahrhunderts das Ende der Klassik einläutete, weit ins nächste Jahrhundert wies, und nicht von ungefähr selbst zur Figur in einer Erzählung wurde - in Büchners Lenz. Er war wie seine Theaterfiguren: zerrissen, voller Widerspruch, aus dem Rahmen gefallen.
Nichts funktioniert mehr so richtig. Lenz bemüht zwar noch einmal die bürgerlichen Geschichten und Geschichtchen, aber während bei Lessing und Schiller der Bürger noch seine Ehre (und die seiner Tochter) verteidigt, nimmt er sich in Lenz‘ Hofmeister selbst nicht mehr richtig ernst. Major von Berg ist so einer. Der Hofmeister kommt in sein Haus, um den Sohn und die Tochter zu unterrichten. Die Welt scheint noch in Ordnung. Als der selbstverliebte und devote Hauslehrer dann aber seine Tochter schwängert, neigt der gestandene Bürger zu Kapriolen. Ernst Alisch liegt nackt in der Badewanne und entsagt der Welt. Er kann endlich ausspielen, was im Stück angelegt und erst allmählich deutlich wird: Ein Riß geht durch die Welt, unter der Oberfläche lauert der Wahnsinn.
Seine Frau steht ihm in nichts nach: Helga Grimme spielt die Majorin, eine alternde Kokotte, die gerne frische Rose wäre. Sie bietet ihren Hals dem geckenhaften Graf Wermuth an, den dieser immer widerwilliger küßt. Er hätte lieber die Tochter, das Gustchen, die vom Hofmeister Geschwängerte.
Bruno Klimek hat das Lenz-Stück, in dem die einzelnen Figuren bis in die Nebenrollen voller Widerspruch und sprunghafter Veränderung stecken, bis ins Detail ausgeleuchtet. Damit ist er weiter vorgedrungen als Alexander Lang, der den Hofmeister Anfang des Jahres am Hamburger Thalia-Theater inszenierte. Am Ende hat Lenz den Riß in der Welt ein wenig gekittet: Es kommt zu einer klassischen Wiedererkennung, die Generationen finden sich. Klimek ironisiert dies: Im Schlußbild erstarren alle wie in Rembrandts Nachtwache, gepreßt in ein viel zu kleines Zimmer. Ein Idyll, das aussieht, als explodierte es gleich.
„Es ist so schade, daß ich bald wieder fort muß. Aber das Leben ist gut.“ Katharina ist in Schitzlers Der Ruf des Lebens schon vom Tode gezeichnet, wenn sie zum ersten Mal auf die Bühne kommt. Sie verläßt ihre Mutter und kehrt am Ende zurück. Pia Podgornik spielt in Heidelberg eine junge Frau, die sich ans Leben klammert und doch immer wieder so tut, als bedeute es ihr nichts. Wie im Fieber taumelt sie und spricht in allen Schattierungen. Sie will alles sagen, was sie während ihrer langen Abwesenheit nicht sagen konnte. „Wo ist denn die Sonne hin“, ist ihr letzter Satz - damit endet die eindrücklichste Szene aus Friderike Vielstichs Heidelberger Inszenierung. Das Stück ist vorbei.
Wie im Hofmeister stehen auch in Schnitzlers dunkler Todeselegie ein Vater und seine Tochter im Zentrum. Und Schnitzler - der nebenbei immer auch den allmählichen Zerfall der Donaumonarchie verhandelt - zeigt in diesem, um die Jahrhundertwende geschriebenen und sehr selten gespielten Stück, daß eine Versöhnung der Generationen nicht mehr möglich ist. Marie, die andere junge Frau des Stücks, bringt den Vater um, der sie tyrannisiert. Sie wird dadurch nicht glücklich. Babette Winter spielt die melancholische Resignation aus, die von Anfang an die Figur zeichnet.
Irene Kugler - Frau Richter und Katharinas Mutter - hat in Heidelberg die dritte überzeugende Frauenrolle: Neben diesen drei wirken die Männer seltsam blaß. Mit Ausnahme von Klaus Hemmerle, der einen jungen Kürassier-Offizier spielt - ihn liebt Marie, er aber zieht todessüchtig in die Schlacht -, schaffen sie es nicht, den spröden Schnitzlerschen Mannsbildern Leben einzuhauchen.
Friderike Vielstich, die bis jetzt hauptsächlich in Düsseldorf inszenierte, wird für zwei Jahre fest in Heidelberg arbeiten. Der Ruf des Lebens war ihre dritte Inszenierung in der Neckarstadt und in der nächsten Spielzeit wird man ein Auge auf Heidelberg haben müssen, nicht zuletzt auch deshalb, weil mit Liz King eine junge Wiener Choreographin die Nachfolge von Johann Kresnik antritt.
Und sonst? Ausgerechnet in Stuttgart gibt sich „der wilde Süden“ (Werbeslogan des 'Südfunks‘) äußerst zahm. Dort wartet man nach einer Spielzeit immer noch darauf, daß der ehemalige Mannheimer Schauspielchef Jürgen Bosse in See sticht. Sein Nachfolger in Mannheim dagegen hat interessante Regisseure und eine Uraufführung des neuen Brasch-Stückes Tod den Vorgesetzten angekündigt. Neben jungen Regisseuren wie Bruno Klimek sollen die beiden Franzosen Andre Engel und Bruno Bayan in Mannheim inszenieren. Aus Deutschland kommen Katharina Thalbach, Stefan Müller und Peter Löscher dazu.
Basel wird allemal eine Reise wert bleiben, da dort im ersten Jahr der Baumbauer-Intendanz, zuerst fast unbemerkt, eine Theater-Hochburg aufgebaut wurde. Gespannt darf man vor allem auf Jossie Wielers Iwanow von Tschechow sein und auf eine Theatralisierung von Elfriede Jelineks Klavierspielerin, die Ende des Jahres uraufgeführt wird.
Jürgen Berger
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