: Adria-Saison: Algen, Pestizide, Giftmuscheln
Während die Meeresverschmutzung galoppiert, propagiert die Tourismusindustrie Loblieder aus der bundesdeutschen Presse / Das „Florida Europas“ steht vor dem Öko-Kollaps / Gibt es bald ein Badeverbot zwischen Triest und Cattolica? ■ Aus Rimini Werner Raith
Glaubt man den Verlautbarungen des Hotel- und Tourismusgewerbes zwishen Ravenna, Rimini und Cattolica, so gibt es in ganz Europa nur ein Medium, das wissenschaftlich einigermaßen auf der Höhe meeresbiologischer Forschung ist die 'Westdeutsche Allgemeine Zeitung‘. Deren Kürzel WAZ, leicht englisch ausgesprochen, geht den „Albergatori“ der Emilia Romagna derzeit mindestens ebenso leicht von den Lippen wie der ihrer kulinarischen Leckerbissen passatelli in brodo (Käsenudeln in Brühe) oder carciofi in salsa (Artischockensalat).
Die WAZ hatte in einem Jubel-Artikel Mitte Juni die Adria als künftiges „Florida Europas“ gepriesen und weiter schwadroniert: „Keine Angst vor den Algen.“ Die nämlich hatten voriges Jahr kilometerweise einen unappetitlichen Teppich vor den Badeküsten gebildet und Teutonen in Scharen fliehen lassen. Die Entwarnung der WAZ kam da gerade recht, und am 18. und 19. Juni waren Italiens Zeitungen voll vom „wiedergefaßten Vertrauen des Auslandes in unsere Adria“.
Die Zeitungen waren kaum ausgeliefert, da meldeten sich die totgesagten Hauptdarsteller zurück - die Algen. Fischer brachten erste Kübel mit dem übelriechenden, schaumartigen Teppich in den Hafen und, viel schlimmer noch, mehrere hundert Personen klagten nach dem Genuß von Miesmuscheln über Brechreiz, Übelkeit und Bauchschmerzen. Diagnose: Vergiftung durch Muscheln, die toxische Algen konsumiert hatten, wahrscheinlich solche vom Typ Dinophisis: eine Sorte, die 1970 Tausende böser Fälle von Durchfallkrankheiten an den Atlantikküsten provoziert hatte.
Jetzt versichern Badeärzte und Gesundheitsdezernenten, daß es „keine, aber auch nicht die geringste Gefahr für die Gesundheit unserer lieben Gäste“ gebe. Doch welchen Urlauber beruhigt schon die Aussicht, daß er zwar nicht sterben, aber ein paar Tage kotzen wird?
Dabei hat es an Warnungen nicht gefehlt. Schon vor einem halben Jahr hatte der Meeresbiologe Giorgio Honsell aus Triest während eines Kongresses in Ancona darauf hingewiesen, daß die Algen hochgefährlich werden können: „Manche davon rufen auf dem Weg über Planktonfresser, aber auch über Berührungen nur ein wenig Übelkeit hervor; andere aber sind hochgiftig - aus Ländern wie Australien, den USA, den Philippinen, Chile, aber auch schon aus Spanien sind Todesfälle dadurch bekannt.“ Doch Honsell wurde damals nur ausgelacht: noch nie habe man Giftalgen im Adriatischen Meer gefunden; der Hinweis, daß täglich ganze Schwärme von Algen durch Überseeschiffe auf den Ozeanen hin- und hergeschleppt werden, wurde abgetan. Auch die Besorgnis wegen der für den Algenzuwachs verantwortlichen, allenthalben festgestellten „Euthropierung“ (unerwünschte Zunahme von Nährstoffen in Gewässern), von Grünen und alternativen Biologen auf den Überdüngungseffekt der Landwirtschaft, Müllabkippung und Verklappung chemischer Substanzen zurückgeführt, brachte Honsells Kollegen nicht aus der Ruhe: die Nahrungsstoffzunahme im Wasser sei „alles in allem ein natürlicher Effekt“, der sich auch „mal wieder umkehre“. „Und dann“, entsetzt sich Honsell noch heute, „haben sie glatt auch noch gesagt, die Algen seien eine Art Polizist im Meer und fressen möglicherweise die zusätzlichen Nährstoffe auf. Daß die sich dabei milliardenfach vermehren und die gesamte Meeresfauna und -flora durcheinanderbringen, ist denen kaum klarzumachen.“
Die Tourismus-Manager, aber auch die regionalen und lokalen Gesundheitsdezernenten suchen derweil noch zu retten, was zu retten scheint: in den neuesten Pressemitteilungen wird vornehm das Datum der WAZ-Hymne verschwiegen. Die von der Europäischen Gemeinschaft vor einigen Wochen den Adria -Bädern Cattolica und Misano verliehene „Blaue Fahne“ für sauberes Wasser und hygienische Strände nehmen nun auch die anderen Adria-Orte mehr oder minder für sich in Anspruch.
Das allerdings könnte zum Rohrkrepierer werden: Grüne Politiker wie die Abgeordnete Anna Donati wollen inzwischen vom Gesundheitsminister wissen, wie es denn zu dem seltsamen Persilschein für die Adria-Orte gekommen ist. Da wird der Minister wohl mit der Wahrheit heraus müssen: an den Meßwerten nämlich hat sich in den letzten Jahren nichts geändert. Doch auf Druck Italiens hat die EG-Öko-Kommission ihre vordem rigiden Vorstellungen „flexibler gehandhabt“, wie das ein Ministeriumssprecher nennt: Wahrscheinlich wäre sonst überhaupt kein italienischer Ort ausgezeichnet worden.
Das probate Mittel wurde zum letzten Mal vor einem Jahr angewandt, als sich das Trinkwasser für ein Fünftel aller Italiener als Atrazin-verseucht erwies: da hob Minister Carlo Donat-Cattin den erlaubten Grenzwert einfach um das Zehnfache an, und schon war das Wasser wieder trinkbar. „Vielleicht dekretiert er diesmal“, spotten die Grünen im Parlament, „daß drei Tage Durchfall und Erbrechen gar keine gesundheitliche Beeinträchtigung darstellen.“
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