So einfach geht es wirklich nicht

■ In der Diskussion muß es auch um die „Überprüfung der eigenen Praxis“ gehen

Die Gefangenen aus der RAF wollen die Diskussion mit allen und wenn man bedenkt, daß der Kreis, mit dem diskutiert werden will, bis in die Kirche hineinreichen soll, dann ist schon das ein ganzes Stück „Neubestimmung“. Immerhin hatte die RAF noch vor gar nicht so langer Zeit selbst für die legal agierende sozialistische Linke allenfalls ein „Ihr seid noch nicht so weit“ übrig - wenn überhaupt. Nun soll diskutiert werden, aber selbst äußert man sich politisch erst mal nicht. Über alle Knackpunkte zwischen der RAF und dem „Rest der Linken“ wird in den bisherigen Erklärungen aus dem Knast wie selbstverständlich hinweggegangen. Politische Analyse, konkrete Ansätze für die angestrebte politische Auseinandersetzung finden sich da erst mal nicht. Christian Klar hat es sogar geschafft, sich dessen komplett zu enthalten.

So wenig nun gerade in den Ansprüchen von draußen an die Gefangenen vergessen werden darf, daß die Haftbedingungen nach wie vor eine Diskussion unter den Gefangenen per Isolation weitgehend verhindern, so wenig kann damit stets erklärt und entschuldigt werden, daß die politischen Aussagen aus dem Knast dermaßen dünn sind. Karl-Heinz Dellwo stellt fest: „Als antagonistischer Kern sind wir schon lange da, und unsere Genossen brauchen uns nicht als Motor für ihr Terrain“, um fortzufahren, „was hier hinzukommen muß, ist der grundsätzliche Aufbruch auf breiter Basis von unten gegen die Normalität des Systems, nicht mehr nur gegen den scheinbaren Ausnahmezustand. (...) Die Verhältnisse müssen ganz umgewälzt werden.“ Von Menschen, die sich nach wie vor selbst als den „antagonistischen Kern“ begreifen, darf man mit Fug und Recht wohl mehr erwarten als den Fundamental -Satz: „Die Verhältnisse müssen ganz umgewälzt werden.“ Auch wenn sie im Gefängnis sind. Ebenso frappierend in ihrer Allgemeinheit ist die Aussage, es müsse nun ein „grundsätzlicher Aufbruch auf breiter Basis von unten“ hinzukommen. Allerdings! Hier beginnt die Diskussion eben keineswegs ganz neu. Hier liegt die jahrealte scharfe Differenz zwischen dem überwiegenden Teil der Linken in der BRD und der RAF. Für die Teile der Linken, die auf diesen breiten Aufbruch setzen, stellte sich die „revolutionäre Praxis der RAF“ als in krasser Weise kontraproduktiv für dieses Ziel dar. Zu dieser alten Differenz um den Sinn und Unsinn des bewaffneten Kampfes hier und heute aber wird in keiner der bisherigen Erklärungen auch nur ein Ton geäußert. Hier zieht man sich wie gehabt auf einen Formalismus zurück, als wäre in den letzten zwanzig Jahren nichts geschehen. Motto: Die Gefangenen sind nicht die RAF, also können sie zum bewaffneten Kampf nichts sagen. Zur „Überprüfung der eigenen Praxis“ bislang kein Wort.

Doch so einfach geht es nicht: Wenn Leute, die jahrelang den bewaffneten revolutionären Kampf ausschließlich nach eigenem Gutdünken geführt haben und jede Frage und Kritik aus der Linken in maßloser Selbstüberschätzung abgebügelt haben, jetzt mit der Linken diskutieren wollen, dann können sie nicht von vornherein wieder bestimmen wollen, worüber geredet werden kann und worüber nicht.

Die Gefangenen wollen in die Diskussion. Die Fragen dazu liegen seit zwanzig Jahren auf dem Tisch.

Maria Kniesburges