„Seit ich anfing, Arbeitnehmerrechte auch für die IGfM zu fordern...“

■ Die ehemalige Lateinamerika-Referentin der „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte“ hat fristlos gekündigt und packt aus

Werte Herren!

(...) Seit ich mit anderen Kollegen, die inzwischen alle aus der IGfM verdrängt wurden, im letzten Jahr anfing, Arbeitnehmerrechte nicht nur für das ferne Polen, sondern auch für die Beschäftigten in der IGfM-Geschäftsstelle zu fordern, sehe ich mich einem Druck des Arbeitgebers ausgesetzt, der inzwischen unerträglich geworden ist. Meinen Einsatz für eine Menschenrechtsarbeit in Lateinamerika, die nicht auf dem einen (rechten) Auge blind ist, begegnen Sie seither mit immer intensiverem Mißtrauen; die Betätigungsmöglichkeiten für mich als Leiterin der Lateinamerika-Abteilung haben Sie inzwischen praktisch auf Null reduziert.

Offenbar ist Ihnen gar keine Menschenrechtsarbeit auf jenem Kontinent dann vorübergehend lieber als eine, die sich nicht nur auf die linken Regime in Nicaragua und Kuba „einschießt“ und die ich nicht losgelöst von dem Einsatz für die Einhaltung von Menschenrechten im eigenen Haus betrachten kann. Einer wie ich in der Lateinamerika-Abteilung arbeitenden Kollegin haben Sie bereits unter fadenscheinigen Gründen gekündigt. Es ist aufschlußreich, daß nun mit mir die letzte Person, die sich hauptamtlich in der IGfM noch um Lateinamerika kümmerte, diesen Arbeitsplatz aufgeben muß.

Wie Aussätzige behandelt

Für meinen Fortgang nenne ich Ihnen als andauernden Grund, daß Sie ständig durch auf einer Linie liegende Anordnungen meine Arbeit derart einschränken, daß eine Weiterbeschäftigung zu den vertragsgemäßen, bisher üblich gewesenen Bedingungen nicht stattfindet.

„Wir machen dich fertig!“, dies ist eine Überschrift in der IGfM-Zeitschrift 'Menschenrechte‘ (Heft 3-4/87) - allerdings über Psychoterror in der DDR. Oder: „Nach ihrer Antragstellung wurden (sie) auf ihrer Arbeitsstelle wie Aussätzige behandelt.“ (Heft 2/80) Aber auch hier geht es nicht um die Praktiken der IGfM, sondern um Ausreiseantragsteller in der DDR. Als Mitarbeiterin, die ein halbes Jahrzehnt in der IGfM gearbeitet hat, muß ich nun leider feststellen: Genauso erging es den IGfM-Mitarbeitern, die es gewagt hatten, eine Betriebsratswahl bei der IGfM durch wiederholte Antragstellung beim Arbeitsgericht durchzusetzen - sie wurden wie Aussätzige behandelt! (...)

Bereits Anfang Januar 1989 haben Sie als Arbeitgeber mir angekündigt, kandidierte ich mit dem fristlos gekündigten IGfM-Presereferenten Platzdasch zusammen für den Betriebsrat, so hätte das Konsequenzen für meine Arbeit. (...) Herr Platzdasch hat inzwischen seinen Kündigungsschutzprozeß gegen sämtliche Kündigungen der IGfM gewonnen und an Betriebsratssitzungen teilgenommen - und was Sie seinerzeit mir angedroht haben, haben Sie wahrgemacht.

Brisantes Projekt entzogen

Zuerst zeigte sich das am IGfM-Projekt für aus Nicaragua nach Honduras geflüchtete Sumu-Indianer. Das von mir seit 1985 betreute, politisch brisante Projekt wurde mir aus fadenscheinigen Gründen („Arbeitserleichterung“) entzogen.

Des weiteren „durfte“ ich von den im Bereich Lateinamerika anfallenden Länderjahresberichten für 1988, anders als in früheren Jahren, lediglich noch den zu Chile verfassen. Dieser wurde dann allerdings sogleich zur „Begutachtung“ dem IGfM-Vorstandsmitglied Prof. Konrad Löw zugesandt. Prompt erhielt ich (...) die mehrseitige „Kritik“ Prof. Löws über die „Einseitigkeit“ meines Berichts. Eine „Kritik“, bestehend aus Aussagen wie der, daß es zwar „zuweilen“ vorkomme, daß Untersuchungsgefangene Verhören „in harter Form ausgesetzt werden“, daß jedoch die Haltung der dortigen Regierung hinsichtlich „derartiger Übergriffe“ insgesamt „positiv ist“, und daß „ein autoritäres System“ so etwas eben „zwangsläufig nicht (sic) völlig ausschließen“ könne... Dies als Entgegnung zu meiner Aussage, daß es in Chile Folter gibt! Statt daß ich mich konstruktiv mit Menschenrechtsarbeit beschäftigen konnte, verlangten Sie von mir eine Stellungnahme zu dieser „Kritik“. Einer „Kritik“, in der mir vorgeworfen wird, daß sich mein Chile-Bericht „hauptsächlich auf Einschätzungen des UN -Sonderberichterstatters“ stütze - ein interessanter Vorwurf in einer Organisation, die immerhin das Emblem der Vereinten Nationen in Briefpapier und Publikationen führt! Eine „Kritik“, die dann in der Behauptung gipfelt, daß sich die chilenischen Streitkräfte durch „politische Enthaltsamkeit“ auszeichnen würden, daß es sich 1973 nicht um einen Militärputsch „im herkömmlichen Sinne“ gehandelt habe und daß dieser Putsch legal und legitim gewesen sei. Meine unmißverständliche Ablehnung dieser Position Prof. Löws ist Ihnen bekannt.

„Bedauerliche Zwischenfälle in Chile“

Diese Arbeitseinschränkungen ergänzten Sie durch meine Verpflichtung, Ihnen meine gesamte Korrespondenz jeweils unaufgefordert vorzulegen. Später erteilten Sie die Anweisung, überhaupt keine Briefe mehr zu schreiben. (...)

Vielleicht wünschen Sie, daß ich bei der chilenischen Botschaft anfrage, bevor ich einen chilenischen Folterfall publiziere? Dieses Verfahren, daß die IGfM etwa in Sachen Nicaragua oder Kuba mir nie nahegelegt hatte, bevorzugte ja Vorstandssprecher Ziegler in Sachen Chile. Bei der chilenischen Botschaft in Bonn fragte Herr Ziegler an, als die in Armenvierteln karitativ wirkende Organisation MISSIO (wie er im Hinblick auf Mißhandlungen und anonyme Drohanrufe zurückhaltend schrieb) „bedrängt“ wurde: “...in den letzten Tagen erhielten wir von verschiedenen Seiten Informationen über bedauerliche Zwischenfälle in Chile. Bevor wir uns womöglich öffentlich dazu äußern, möchten wir Sie (die chilenische Botschaft) um Prüfung und eine Stellungnahme bitten.“ (...)

In diesem Zusammenhang fällt mir allerdings das Schreiben unseres IGfM-Ehrenpräsidenten und Chile-Reisenden Martin (Generalbundesanwalt a.D. Ludwig Martin, d.Red.) ein, worin dieser mir in bezug auf Chile schrieb, „eine Ohrfeige etwa, die einem provokant auftretenden Gefangenen von der herausgeforderten Aufsichtsperson verabreicht wird“, dürfe ich nicht als Folter bezeichnen; einige Zeilen später ist dann die Rede von „einem frech leugnenden Angeklagten“. (...) Mein letzter Versuch, trotz aller Behinderungen in meinem Gebiet weiterzuarbeiten, scheiterte wegen Ihres Verbots, das von mir entworfene Nicaragua-Flugblatt in Druck zu geben. Daß Sie diesen den jüngsten Entwicklungen in Nicaragua Rechnung tragenden Entwurf lediglich mit der Behauptung ablehnten, es handele sich um „kommunistische Sprache“ und „kommunistische Forderungen“, kann ich nicht hinnehmen. Die Position, Reformbestrebungen durch wirtschaftliche Hilfe zu unterstützen, wird von der IGfM für das Apartheid-Regime in Südafrika hingegen ohne Bedenken vertreten.

Statt ein sachliches Gespräch zu führen, teilten Sie mir lediglich mit, Sie würden die Erstellung des Flugblatts nach „außerhalb vergeben müssen“. Das heißt, Sie lassen die Außendarstellung der IGfM zum zehnten Jahrestag der sandinistischen Revolution erarbeiten, ohne mich als Lateinamerika-Abteilungsleiterin überhaupt zu beteiligen. Wer entscheidet eigentlich über die Position der IGfM in Sachen Nicaragua? Der Geschäftsführende Vorsitzende? Die „Nicaragua-Gesellschaft“ in Bonn mit ihren „guten“ Verbindungen? Oder noch andere Stellen „außerhalb“ der IGfM? (...)

Schreibtisch in die „Hunde-Ecke“

Für die von Ihnen befehdete Betriebsratsliste „Eintracht“ und deren Unterstützer galt in der IGfM eine Politik der „kleinen Apartheid“. Für „Eintracht„-Kandidaten, mithin inzwischen nur noch für mich, wurde eine diskriminierende Mittagspausen-Sonderbehandlung verfügt, indem Sie eine bestimmte Zeit für die Pause festsetzten - alle anderen Mitarbeiter können selbst bestimmen, wann sie in die Mittagspause gehen. Selbst für freiwillige, unbezahlte Mehrarbeit muß ich eine Genehmigung zum Verweilen in den Diensträumen einholen. (...)

Seit dem 30.Juni 1989 ist sogar eigens für mich ein Extra -Postfach vorne in der Empfangshalle der IGfM eingerichtet, damit ich nicht mehr das Zimmer betrete, in dem die Fächer aller anderen Mitarbeiter sind.

Schließlich gaben Sie am 10.Juli 1989 auf einer Mitarbeiterbesprechung bekannt, daß mir als Leiterin der IGfM-Abteilung Lateinamerika kein eigener Büroraum mehr zustehen soll. Ich soll im Besucher-Foyer der IGfM meinen Schreibtisch in der bisherigen „Hundeecke“ aufbauen, wo früher der Hund des inzwischen gekündigten „Eintracht„ -Kandidaten Markus Sohn seinen Platz hatte.

Außerdem gibt es die unhaltbaren, pauschalen und nur mich betreffenden Verbote, mich über sogenannte „interne Informationen“ zu äußern. Diese Anordnung verstößt gegen meine IGfM-Mitgliedsrechte, sofern mir darin auferlegt wird, daß mein „Informationsaustausch mit Mitgliedern unserer Gesellschaft“ sich auf die für „Lateinamerika relevanten Bereiche zu beschränken“ hat. (...)

Geradezu inhuman wurde Ihr Vorgehen gegen mich, als ich immerhin vom Chef einer „Menschenrechtsorganisation“ unmittelbar nach einer nicht gerade wohltuenden Magenspiegelung ans Krankenbett eine schriftliche Aufforderung, zur Arbeit zu erscheinen, gesandt bekam, der eine Abmahnung anläßlich meiner Erkrankung folgte, obwohl ich ordnungsgemäß krankgemeldet war. (...)

„Die sollte man aufhängen“

Der Geschäftsführende Vorsitzende Agrusow nannte im Juli meine Wahrung der Umgangsformen, mein Grüßen der Kollegen, eine „Zweckhöflichkeit“, mich dabei mit einem Folterer vergleichend, der den Gefangenen beim Betreten der Zelle grüßt und Zigaretten anbietet, bevor er ihn zusammenschlägt. (...)

Auch als dort (auf Mitarbeiterbesprechungen) polemisch „Lösegeld„-Summen für mich „ersteigert“ wurden, haben Sie als Erfinder des „Freikauf„-Plans geschwiegen, nach dem Mitarbeiter für die Abfindung der Ihnen mißliebigen Mitarbeiter „spenden“. Als in der IGfM ein Kollege dem Stellvertreter des Geschäftsführenden Vorsitzenden, Herrn Ziegler, gegenüber äußerte, „die (gemeint war ich) sollte man aufhängen“, war Herrn Zieglers einzige Sorge, daß diese Äußerungen publiziert werden könnte. (...)

Antisemitismus in der IGfM?

Ihnen ist die IGfM-Affäre „Titow“ bestens bekannt. IGfM -Mitglied Titow hatte bis ins letzte Jahr freien Zugang in der IGfM-Geschäftsstelle. Schließlich war er nicht irgendwer, sondern der von der IGfM immer wieder namentlich benannte Zeuge gegen das deutsch-sowjetische Erdgas/Röhren -Projekt, der behauptete, die Erdgasleitung in der UdSSR würde mit Zwangsarbeitern gebaut. Nach seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland Ende 1987 fiel Titow dann, bei von der IGfM vermittelten oder veranstalteten Vorträgen und durch Brief-Aktionen, durch wüsten Antisemitismus auf. Im September 1988, als man erfahren hatte, daß bereits die Staatsanwaltschaft ermittelte, mußte plötzlich der IGfM -Abteilungsleiter UdSSR, Juri Below, von einem Tag auf den anderen seinen Schreibtisch räumen. Anschuldigung: Er sei mitverantwortlich an einer antisemitischen Flugblattaktion Titows, die offensichtlich auf Material aus den Beständen der IGfM beruhe. Damals wurde im IGfM-Mitarbeiterkreis heftig bezweifelt, ob Below wirklich die Verantwortung für das Wirken Titows in der IGfM habe oder ob mit Belows „Opferung“ von ganz anderen Verantwortlichkeiten und Hintergründen abgelenkt werde. (...)

Seit der Kündigung Belows hat die IGfM-Geschäftsführung keinen einzigen weiteren Beleg für dessen Schuld vorgelegt. (...) Hingegen sind die gegen Titow ergriffenen Maßnahmen wenigstens als halbherzig zu bezeichnen. Ende September 1988 habe man ihn aus der IGfM ausgeschlossen, wurde behauptet; dabei war seine antisemitische Agitation spätestens seit Anfang 1988 bekannt. (...) Und ebenfalls Ende September 1988 wurde endlich mitgeteilt, daß Titow, wie zunächst aus Kreisen der Belegschaft von der Geschäftsführung gefordert, Hausverbot habe. Als dann ein Mitarbeiter, der bald darauf gekündigte „Eintracht„-Kandidat Markus Sohn, einmal dieses Hausverbot gegen Titow durchsetzte, bekam er - im Jahre 1989 - vom IGfM-Chef Agrusow deswegen eine Abmahnung! (...)

Verbindungen zur Organisation „Pamjat“

Und je mehr Zeit verstreicht, um so obskurer wird die Verstrickung der IGfM in die Antisemitismus-Affäre. Hatte man bisher (...) behauptet, es gäbe keinerlei Verbindungen zu der chauvinistisch-großrussischen und antisemitischen Organisation „Pamjat“, so mußte ich inzwischen erfahren, daß beim „Führer“ von Pamjat in Moskau ein Brief - offizielles Briefpapier der IGfM - aus der UdSSR-Abteilung der IGfM vorfindbar war. Dieser „Führer“ richtete Materialanforderungen an den Mitarbeiter der IGfM, von welchem es heißt, er sei der gewählte Vertreter von Pamjat in der Bundesrepublik Deutschland.