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Eisenbahnerstreik in der UdSSR abgewendet

■ Erfüllung der Arbeiterforderungen nach besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen versprochen / Minister rügt Funktionäre / Oberster Sowjet ändert Strafrecht / Gorbatschow betont Rolle der USA in Europa / Regionalparlamente sollen den Stand der Perestroika überprüfen

Moskau (ap/afp/dpa) - Vertreter des sowjetischen Eisenbahnministeriums und der Gewerkschaften haben einen am Wochenende drohenden Streik bei den sowjetischen Staatsbahnen abgewendet. Wie der Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft, Stepan Schalajew, am Dienstag dem in Moskau tagenden Obersten Sowjet mitteilte, wurde den Arbeitern die Erfüllung ihrer Forderungen nach höheren Löhnen und verbesserten Arbeitsbedingungen zugesagt.

Eisenbahnminister Nikolai Konarew wurde am Montag abend in der Abendnachrichtensendung Wremja des sowjetischen Fernsehens gezeigt, wie er führenden Eisenbahnfunktionären Vorhaltungen über Versäumnisse machte. In seiner harten Kritik rügte Konarew, daß Verletzungen des normalen Betriebs nahezu zur Regel geworden seien. Sie hätten Anordnungen gegeben, die zu Unzufriedenheit unter den Arbeitern geführt hätten, und es versäumt, den Beschwerden nachzugehen. Konarews Wiederwahl zum Eisenbahnminister war am 5. Juli vom Obersten Sowjet abgelehnt worden. Er bleibt im Amt, bis ein Nachfolger gefunden. Am Montag hatte der Oberste Sowjet der UdSSR den Begriff „antisowjetische Propaganda und Agitation“ aus dem sowjetischen Strafgesetzbuch gestrichen. Die staatliche Nachrichtenagentur 'Tass‘ berichtete, weiterhin strafbar seien Handlungen, die „gegen die sowjetische Staatsordnung“ gerichtet sind.

Der Oberste Sowjet hatte bereits im April den umstrittenen Paragraphen neu zu fassen versucht, der jahrzehntelang zur Verurteilung von Regimekritikern diente. Jedoch war die damals vorgelegte Variante auf heftige Kritik in der sowjetischen Öffentlichkeit gestoßen. So waren vor allem Artikel kritisiert worden, die die Diskreditierung staatlicher Organe und gesellschaftlicher Organisationen unter Strafe stellen wollten.

Michail Gorbatschow hat die USA am Dienstag als einen „Faktor des europäischen Prozesses“ bezeichnet. Damit widersprach er erneut dem US-Vorwurf, er habe die Absicht, die USA aus Europa zu verdrängen. Gorbatschow bezeichnete es als „primitiv und sinnlos“, diese Realität nicht zu sehen. Gorbatschow lobte den Westen und insbesondere die USA für deren Beitrag im Abrüstungsprozeß. So hätten die Vereinigten Staaten ihren Verteidigungsetat in den vergangenen drei Jahren nicht mehr erhöht und aus Europa einen bedeutenden Teil ihrer Atomraketen entfernt.

Der Oberste Sowjet setzte am Dienstag seine innenpolitischen Beratungen fort. Er forderte die Republiken auf, ihre Parlamente im September zu Sondersitzungen einzuberufen, um die wirtschaftliche und soziale Lage in den einzelnen Gebieten zu begutachten.

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