: INTERNATIONALER BILDVERZEHR
■ „Korrespondenzen“ zwischen deutschen und französischen Künstlern in der Berlinischen Galerie
New York und Paris hielten gewiß weiter ihre Vorreiterposition in Sachen Kunst. Jüngste Ausstellungen hätten allerdings die schöpferische Energie von Städten gezeigt, die - wie Berlin, Wien und Mosaku - die abendländische Moderne mitgeschaffen haben. Solch ein Satz zu lesen im französischen Katalog-Vorwort - geht in Berlin runter wie Öl. Besonders, wo es zur Zeit in der Berlinischen Galerie nach Europa duftet.
Dem Museum, das sich unter den Berliner Institutionen am nächsten an die Gegenwart herantraut, droht in einigen Jahren die Konkurrenz des Hamburger Bahnhofs, der Dependance der Nationalgalerie für die internationale Kunst der Gegenwart werden soll. Das Sammelgebiet der Berlinischen Galerie ist zwar eigentlich auf in Berlin entstehende oder von Berlinern produzierte Kunst beschränkt; doch wurde jetzt eine Ausstellungsreihe konzipiert, die das Brodeln im eigenen Saft mit fremden Aromen würzt. Man plant einen jährlichen Austausch mit anderen Kunstzentren, um junge Berliner Künstler gemeinsam mit jungen ausländischen Kunstschaffenden vorzustellen. (Jung ist der Künstler übrigens im Sprachgebrauch so lange, wie sich der Kunstvermittler mit seiner Entdeckung schmücken kann. Die Geburtsjahre liegen konkret diesmal zwischen 1943 und 1963.) Der kulturelle Austausch beginnt mit dem französischen St.Etienne: Dem Direktor des dortigen, erst im vorigen Jahr eröffenten Musee d'Art Moderne blieb die Auswahl der französischen Teilnehmer überlassen, während die Berliner von Ursula Prinz ausgesucht wurden. Stockholm, Barcelona und Antwerpen nennt Jörn Merkert im Katalog als mögliche zukünftige Partnerstädte.
Die ersten „Korrespondenzen“ sind etwas steif ausgefallen, wie die ersten Briefe in einem Schüleraustausch, bei dem ein Los den Partner bestimmt. Vielleicht sollte man die nächsten Gruppen lieber in einen imaginären Boxring schicken oder an einen gemeinsamen Herd stellen, anstatt bloß höfliche Korrespondenzen pflegen zu lassen. Denn die Arbeiten verbleiben jetzt im unkommentierten Nebeneinander. Die Funken zwischen ihnen muß der Betrachter schlagen.
Yann Fabes, 1963 in Montreuil geboren, Studium an der Ecole des Beaux-Arts de St.Etienne, hat in kleine Leuchtkästen aus Zinkblech Ektachrome und Filmbilder eingespannt: leuchtende Himmelsausschnitte, verwittertes Filmbild einer Breitwand -Western-Landschaft oder einfach diffuses Licht und Schattenspiel. Die Bildchen, sonst nur Projektionsvorlagen, werden als Kleinodien stilisiert. Die Kästchen verweisen auf Generationen von Guckis, Röntgenaufnahmen, wissenschaftliche und voyueristische Sehhilfen aus den Anfängen der Fotografie bis heute. Hier aber werden sie zum Bestandteil des künstlerischen Objekts selbst, anstatt nur Instrumente zu bleiben. Sie könnten Reliquien aus der Filmhistorie oder kleine Schaukästen eines Planetariums sein. In ihnen widerholt sich, daß erst das Licht das Universum zur Erscheinung bringt.
Von Fabes‘ Lichtpünktchen in galaktischer Geschwindigkeit abgestoßen, steuere ich tollkühn den „Planeten“ von Katharina Meldner an und stürze durch die sich öffnenden Platten der Erdkruste hinunter auf eine dunkle Straßenkreuzung der Unterwelt. Meldner baut ihre weißen Zeichnungen auf schwarzem Karton in assoziativen und suggestiven Serien auf. Die figürlichen Elemente scheinen allem möglichen schematisierenden Material entnommen: Gebrauchsanweisungen, Lehrbücher, Werbung. Verfremdet wie durch eine Fehlbelichtung, erzählen sie vom Sturz durch irreale Räume und von geheimnisvollen rituellen Handlungen.
Diesen Fahrten durch die x-te Dimension gegenüber hängen die schwarzen Leinwände von Phillipe Favier, glatt und dicht wie Lackpapier. Sie verneinen zunächst auch nur die geringste Spur einer individuellen Malerei. An ihrer Unterkante aber läuft manchmal ein dünner Faden schwarzer Farbe aus; in ihrer Mitte krümmen sich winzige Figürchen, liegen wie vertrocknete Häutchen auf der schwarzen Fläche. Exponiert und verloren behauptet sich in ihnen ein zäher Wille zur Expressivität, zur Gestaltung eines die Menschlichkeit berührenden Leidens.
Von den Möglichkeiten der Rückkehr zur gegenständlichen Malerei träumt vorsichtig auch Pierre Moignard. Er versucht aus dem Weißen, aus der Abwesenheit jeder Farbe heraus, Gesichter und Landschaften wachsen zu lassen: Punkte als Augen, dünne Linien als Konturen von Nase und Mund, farbige Felder am Rande als Begrenzung der weißen Gesichtsfläche. Seine Bilder lesen sich wie die Umkehrung einer Serie von Jawlensky, der vom impressionistischen Portrait zur konstruktivistischen Auflösung fand.
Sehnsucht nach einer narrativen Malerei hält auch Thomas Lange gepackt: Nackte Gestalten in weihevollen Posen samt Schwan und Mondenschein zitieren eine romantische Poesie, die der Kitsch längst besetzt hält. Über ihre Schemen versucht der Maler, eine spontane expressive Malerei zu legen, die sich aggressiv gegen den Kitsch wendet, um so die Gebrochenheit im Wunsch nach Bildern zu unterdrücken.
Was denn noch möglich sei in der Malerei - diese Frage haben Angelika Riemer und Bernard Piffaretti für sich radikaler entschieden. Riemer baut ihre Bilder aus übereinadergelagerten Farbschichten auf, bis das Blau fast zur Schwärze wird, aus dem Rot und Gelb herausfeuern. Sie erzeugt pure Farbuniversen, in denen alles Mögliche möglich wird. Gegenüber dieser Vitalität malerischer Schöpfung nehmen sich Piffarettis gemalte Verdoppelungen belieber Muster resignativ aus.
Gelegentlich fällt aber auch die Eroberung des Raumes als Handlungsspielraum des Künstlers etwas bemüht aus: Frank Dornseifs Skulpturen aus Armiereisen verflachen zu Gerippen, die beliebte Motive der Plastik - Zentaur und Stier - noch einmal auflegen. Eine Installation von Thomas Schulz, in der er Lichtkuppel und Architektur des Gropius-Baus miteinbeziehen wollte, erliegt deren Mächtigkeit. Auch die aus Polyester und Stahlblech konstruierten Modelle von Jean -Gabriel Coignet, liegen leblos im Raum wie falsch abgestellte Möbel.
Wenn auch nicht die Lösungen, so scheinen sich doch die Probleme der Künstler in St.Etienne und Berlin zu gleichen: Die Maler suchen nach den noch nicht aufgezehrten Bildern und arbeiten sich an der Verseuchung der Bildwelten durch die mediale Inflation ab, während die Bildhauer die Welt der Materialen durchkramen, in der Hoffnung auf ein noch nicht von der Kunst besetztes, dem noch die Potenz zum Experiment innewohnt.
Katrin Bettina Müller
„Korrespondenzen“ in der Berlinischen Galerie im Martin -Gropius-Bau bis 8. Oktober
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen