: Wohin man schaut - keine Aussicht
■ Die Kölner Theatersaison wurde mit Thomas Bernhards „Theatermacher“ eröffnet
Es ist eine rasende Selbstdarstellungsorgie, deren Wortgewalt in Bann schlägt und deren Redunanzen schmerzen: Der Theatermacher von Thomas Bernhard, kunstlos sich gebende Kunst über Kunst und Künstler, ist eines der schwergewichtigsten Theaterstücke der achtziger Jahre, obwohl es sich zu erheblichen Teilen von Resten ernährt. Wie bei der Komödie Immanuel Kant (1978), beim Weltverbesserer (1980) und bei Moritz Meister in Über allen Gipfeln ist Ruh (1982), steht in diesem Schauspiel von 1985 ein philosophierender Schriftsteller im Mittelpunkt - absolut im Zentrum.
Der belesene, beschlagene, besessene Theatermann Bruscon aber hat überdies die alles überlagernden Qualitäten eines „Staatsschauspielers“, welcher - der tieferen Not oder höheren Einsicht gehorchend - ganz dem eigenen Werk und dessen Verbreitung lebt. Ein einiges Stück konstituiert dieses Lebenswerk: „Das Rad der Geschichte“ heißt die von ihm geschaffene „Menschheitskomödie“, die gleichwohl alle Zonen des Tragischen zu durchmessen verspricht - das Stück selbst freilich offenbart sich nur in kleinsten Partikeln, die vom Regisseur Bruscon mit terroristischer Ungeduld probiert werden. Zu hören ist das wasserfallartige Selbstlob des Autors und der immer wieder unterbrochene Ansatz der Selbstinterpretation (die niemand hören möchte): „mehr oder weniger eine Schöpfungskomödie - um nicht sagen zu müssen ein Jahrhundertwerk.“
Es ist wohl kein Zufall, daß Bedeutungsschwere heute eher aus der Restelese herzustellen als aus dem Vollen zu schöpfen ist. Die gehörige Portion Selbsterkenntnis, die Parodie des monomanen Autors, würzt den Text. Bruscon, der Theatermacher, ist Prinzipal einer weit in die Provinz heruntergekommenen Wanderschmiede; er wütet gegen die Leute seiner Truppe - allesamt Familienmitglieder - und gegen den Wirt in Utzbach, in dessen lumpigem Saal er sein „Welttheater“ zu geben gedenkt. Er spart sich selbst in seinen Rundumschlägen nicht aus und betreibt mit seinem Zürnen im Namen der „hohen Kunst“ Selbstvernichtung.
Die „talentlose Brut“, über die er sich bis zur Infarktgrenze erregt, ist schließlich zu zwei Dritteln von ihm gezeugt, erzogen, niedergehalten, um seiner Lebensarbeit willen geknechtet und mit der uneingelösten Verheißung der „Größe“ und des Nachruhms hingehalten; zu einem Drittel ist es die in einem Seebad aufgegabelte Ehefrau, die er und die sich mit ihm verschlissen hat: „Der einzige Reiz an dir ist der Hustenreiz“, schleudert er der Gefährtin entgegen, die mit ihm bis ans Ende der Welt zu gehen bereit ist und nur noch psychosomatisch auf seine Tyrannei reagiert. Aber alle Agression gegen die „Hindernisse“ auf dem Weg seines Lebenswerkes können die Selbstzweifel nicht verdrängen. Bruscon weiß nicht nur, daß er dem Wirt und Schweineschlächter in Utzbach die Saalmiete schuldig bleiben wird, sondern er weiß auch um die Antiquiertheit des nach einst klassischen Prinzipien funktionierenden Theatermachens: „Wohin man schaut - keine Aussicht.“ Einzig am Blick zurück vermag er sich aufzurichten, was ihn hält, ist die Routine: „Nur nicht einbrechen.“ Endspielatmosphäre.
Nach dieser Devise mag auch die Inszenierung in den Kölner Kammerspielen angetreten sein. „Dieser Ort ist eine Strafe Gottes“, höhnt Bruscon über den Kneipensaal in Utzbach. Weil dies auch für den Schlauch am Ubier-Ring gilt - und weil überhaupt so manche hübsche Anspielung aus dem Bernhard-Text auf die gegenwärtige Kölner Theatersituation zutrifft - ist die Endspielzeit des glücklosen und überforderten Intendanten Dr.Klaus Pierwoß wohl mit dieser Inszenierung eröffnet worden. Der Regisseur und Ausstatter Fred Berndt tapezierte Zuschauerraum und Bühne nach der Mode der fünfziger Jahre, versah die Wände mit Bildern aus der guten alten Zeit, einschlägigen Alpenlandschaften, Monarchen- und Hitlerportraits, ausgestopften Flugenten und Fasanen, Hirsch -, Reh- und Hasengeweih.
Das ist die naheliegendste Maßnahme: Der Millionenstadt ohne bespielbares Stadttheater (und ohne Aussicht auf ein angemessenes Ausweichquartier) wird vorgeführt, wie kurz der Weg nach Utzbach ist und wie schnell eine einstige Theatermetropole mit der unsäglichsten Form von Provinztheater abgespeist werden kann.
Almut Zilcher (als Frau Bruscon), Gisela Zülch (als Wirtin), Friederike Wagner (als Tochter Bruscon) sind entweder angehalten, Schmierentheater zu mimem oder tun es nach besten Kräften aus freien Stücken. Der Theatermacher Rudolf Brand ist mit den ungeheuren Wortkaskaden, die den Verfall der Sprechkultur auf dem Theater beklagen, sichtlich überfordert. Aber er schlägt sich wacker bis zum bitteren Ende. Walter Stickan, der Wirt, erscheint unter diesen wildgewordenen Dilettanten wie ein sturer Felsbrocken, der daran erinnert, daß die antikünstlerischen Gesten und Theaterrituale die entwickelste und disziplinierteste Körper - und Sprachbeherrschung verlangen.
„Das Theater ist keine Gefälligkeitsanstalt“, doziert Bruscon/Bernhard. Also hätte man gerade in der gegenwärtigen Kölner Situation nicht das Entgegenkommen einer solchen Inszenierung beweisen sollen, sondern - unter den beengtesten Bedingungen und in der oben wie unten beklagten Schwüle - ein Lehrstück der Künstlichkeit des Theaters und der Notwendigkeit der immanenten Theaterkritik. „Hinaus mit dem Plunder“, meint Bernhard/Bruscon in bezug auf Devotionalienkitsch und Spießers Wanddekoration. Das, zumindest, hätte sich beim Wort nehmen lassen. Das monströse Theaterritual, welches Thomas Bernhard komponierte, wurde renaturalisiert - abgesenkt auf das in Köln inzwischen gängige Niveau: laue Süppchen, bedächtig gelöffelt. Aber die Qualität des Textes setzt sich selbst dagegen wieder ins Recht: „Einen Geigenabend geben wäre besser“.
Frieder Reininghaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen