Grüne Gedanken streng verboten!

Bulgariens umweltbewußte und darob von der Regierung drangsalierte Gymnastinnen beim Europacup der Rhythmischen Sportgymnastik außer Form / Alexandra Timoshenko aus Kiew Publikumsliebling  ■  Aus Hannover Thomas Schreyer

Marion Rothhaar aus Wattenscheid kann noch lächeln, wenn sie zur Fläche schreitet. Das Publikum belohnt ihr heiteres Strahlen mit einem Extraapplaus. Beim ersten Europapokalfinale in der Rhythmischen Sportgymnastik in Hannover belegte sie „nur“ den sechsten Platz - trotzdem kein Grund zur Trauer. Freude auch bei der Siegerin, Alexandra Timoshenko aus der UdSSR. Die 17jährige wirkt gelöst, und die Zuschauer sind sich sicher, daß Timoshenko aus Kiew (bei Tschernobyl) einfach gewinnen „muß“.

Die ernsten Gesichter kommen aus Bulgarien, wo handfeste politische Schwierigkeiten die erfolgsverwöhnten Balkangymnastinnen lähmen: Wegen umweltpolitischen Engagements der Trainerin Neshka Robeva gegen eine Chemiefabrik an der rumänisch-bulgarischen Grenze wurden nach chinesischem „Vorbild“ die bulgarischen Gymnastinnen im Fernsehen wie auch in den Tageszeitungen angegriffen. Sie hatten sich mit ihrer Trainerin solidarisiert. In den Abendprogrammen erfuhren die Ausnahmeathletinnen, die ihre Zimmer mit Olympiamedaillen schmücken, daß sie aus dem Nationalteam gefeuert würden, wenn sie sich nicht von Robeva distanzierten.

Robeva, die gerne weiter Nationaltrainerin bliebe, sich aber Gedanken machen würde, „wenn die mich weghaben wollen“, wird nun natürlich für die Niederlagen der letzten Wochen und erst recht für den schweren Einbruch in Hannover verantwortlich gemacht. „Kann eine Gymnastin, die solche Repressionen erdulden muß, noch Leistung bringen?“ fragt die „Grüne“. Adriana Dunavska, in Hannover gerade zweite, wirkte schon immer ernst, oft zu ernst - das krasse Gegenteil einer Marion Rothhaar, aber auch einer Alexandra Timoshenko. In Hannover veranlaßte ihre mit weinerlichen Blicken vorgetragene Kür die Zuschauer zu der Frage: „Wann kommt denn endlich die Timoshenko?“ Kinder, ganz aufgeregt, als Timoshenko, in Hannover erfolgreichste Teilnehmerin und Publikumsliebling, Michael Jacksons Dirty Diana zu interpretieren begann, flüsterten: „Viel Glück“. Bei Dunavska lehnten sie sich wieder zurück.

„Die Mädchen waren alle außer Form“, entschuldigte sich Robeva, die Spekulationen entgegentrat, daß die bulgarische Erfolgswelle sich dem Ende zuneige. Freilich, die größeren Chancen für die Ende September in Sarajewo stattfindenden Weltmeisterschaften liegen jetzt bei den Sowjetgymnastinnen

-weil in deren Verband Einheit herrscht und sich die Verantwortlichen nicht gegenseitig bekämpfen.

Die Möglichkeiten der Bulgarinnen seien aber, so Robeva, noch nicht ausgeschöpft. „Uns ist der Inhalt unserer Übungen wichtig, wie wir die Bewegungen darstellen können; das zu zeigen, was wir zu vermitteln haben, die Kreativität.“ Ein großes Vorhaben, wenn sie weiter im Amt bleiben darf. Kreativität hat aber etwas mit Denken zu tun, etwas Neues entsteht, etwas Eigenes. Das fördert Kritikfähigkeit, nicht nur im Sport.