: Lummer verschwieg Ost-Kontakte
■ Berlins Ex-Innensenator Heinrich Lummer hat fünf Jahre zu lang den Mund gehalten / SPD-Senator Pätzold legt Parlamentarischem Ausschuß geheimen Bericht vor / Verfassungsschutz hat wieder einmal geschlampt
Berlin (taz) - Heinrich Lummer, früherer CDU-Innensenator in Berlin-West und Liebhaber in Berlin-Ost, hat seine Kontakte zum DDR-Staatssicherheitsdienst fünf Jahre lang verschwiegen. Bei einer Sicherheitsüberprüfung hat Lummer zudem „wahrheitswidrig jeden Kontakt abgeleugnet“. Das erklärte gestern im Ausschuß für Verfassungsschutz der amtierende Innensenator Erich Pätzold (SPD).
Über seine Ost-Beziehungen hat der CDU-Politiker nach Pätzolds Angaben auch dann erst Auskünfte gegeben, als er „unter ganz konkreten Druck von drüben“ gesetzt wurde. Die Darstellung des früheren Regierenden Bürgermeisters Diepgen, wonach Lummer die Sicherheitsbehörden frühzeitig verständigt hätte, wies Pätzold zurück. Diepgen habe damit „objektiv die Unwahrheit gesagt“.
Das parlamentarische Kontrollgremium soll nun nach dem Willen von SPD und AL die Rechte eines Untersuchungsausschusses erhalten. Nur dann können die VS -Kontrolleure auch die in die Affäre Verstrickten als Zeugen vorladen. Die SPD-Fraktion erwägt, eine Sondersitzung des Abgeordnetenhauses einzuberufen, damit der Untersuchungsausschuß noch diesen Monat mit der Arbeit beginnen kann.
Schwere Vorwürfe erhoben AL und SPD nach der Ausschußsitzung aber nicht nur gegen den früheren Innensenator und Freund der „Republikaner“ Lummer. Sie nahmen auch das sonderbare Gebahren des Berliner Verfassungsschutzes ins Visier. Obwohl Lummers Kontakte zum Staatssicherheitsdienst bekannt waren - und selbst der damalige Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker eingeweiht war -, fand eine Aufklärung der Vorgänge durch den VS nicht statt. SPD-Ausschußmitglied Hans-Georg Lorenz nannte es „unerträglich, daß die Vorgänge von einer so gravierenden Bedeutung nicht untersucht worden sind“.
Der 35seitige Bericht, den Pätzold gestern dem Ausschuß übergab, ist samt seinem Anhang geheim. Kopien wurden an den Generalbundesanwalt Rebmann und das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz weitergeleitet. Innensenator Pätzold hatte die ursprünglich geheime Akte allen zugänglich machen wollen. Nachdem er die Verschlußsache freigegeben hatte, wurde sie in Rebmanns Behörde allerdings postwendend wieder geheim gestempelt.
Der Berliner VS soll von Lummers Ost-Affäre erst nach 1981, also nach dem Regierungswechsel vom SPD- zum CDU-Senat, erfahren haben, sagte der SPD-Sicherheitsexperte Lorenz. Die politische Verantwortung dafür, daß der Skandal auf höchster Ebene vertuscht wurde, müßte danach in erster Linie der damalige Regierende Bürgermeister von Weizsäcker tragen. Die AL-Vertreterinnen im Ausschuß, Renate Künast und Lena Schraut, setzten dagegen, daß es bereits 1975 Fortsetzung auf Seite 2
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erste Hinweise in Zusammenhang mit der Beobachtung Lummers durch den DDR-Staatssicherheitsdienst gegeben habe. Für die AL-Frauen ist es „schwer vorstellbar“, daß der damals zuständige SPD-Senator nicht in Kenntnis gesetzt wurde. Nach Durchsicht der Geheimpapiere vermuteten sie, daß die verschiedenen Akteure sich gegenseitig in der Hand gehabt hätten. Mit der Vertuschung von Lummers Affäre sei im Laufe der Zeit „ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Hauptbeteiligten Heinrich Lummer, VS-Präsident
Natusch, Richard von Weizsäcker und Eberhard Diepgen und möglicherweise auch allierter Stellen entstanden“.
Wolfgang Gast
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