: Shusako Endos neuer Roman
■ Menschlichkeit in unmenschlicher Zeit in einem japanischen Roman
Dem japanischen Schriftsteller Shusaku Endo, laut Graham Green „einer der besten lebenden Romanschriftsteller“, sind die Verhältnisse in einer Klinik nicht fremd. Als der inzwischen 66 Jahre alte Autor 1959 bei einem Aufenthalt in Rom an einer Lungeninfektion erkrankte, verbrachte er anschließend drei Jahre in Krankenhäusern. Krankheiten und Hospitäler sind seither ein kennzeichnender Bestandteil im Werk des Schriftstellers, der als einer der ewigen Kandidaten Japans für einen Literatur-Nobelpreis gilt. In der Bundesrepublik machte sich Shusaku Endo vor allem mit seinem Roman „Der Samurai“ einen Namen.
Auch in seinem Werk „Eine Klinik in Tokio“ greift der Autor das Thema Krankheit und Krankenhaus wieder auf. Er schildert darin spannend und ohne erhobenen Zeigefinger die Gefühllosigkeit in einer japanischen Klinik, die angesichts jüngster Vorfälle hierzulande auch für hiesige Leser brisante Aktualität erhält. Es geht um Medikamentenversuche an einer Patientin, die schließlich zu deren Tod führen. Als Kontrapunkt zum Verlust des Mitgefühls der Ärzte setzt Shusaku Endo menschliche Züge in der sonst so unmenschlichen Zeit des Zweiten Weltkrieges.
Einer der Protagonisten des kurzweiligen Romans ist der japanische Kaufmann Ozu. In einfühlsamen einfachen Worten und ohne Pathos beschreibt Endo dessen Erinnerungen an seine Jugend zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Sie sind geprägt von einer „bitter-süßen“ Wehmut über die Freundschaft zu einem Mitschüler namens Plattfisch, der sich hoffnungslos verliebt und als Soldat sein Leben lassen muß. Bei jeder Niederlage seines Freundes leidet Ozu mit. Zugleich erzählt Endo das Leben des Sohnes von Ozu. Der junge und aufstrebende Arzt Eiichi verschwendet keine Zeit auf Mitgefühl oder Mitleid, seine Gedanken sind beherrscht von seiner Karriere. Er schreckt auch nicht davor zurück, ein neues Medikament an einer Patientin auszuprobieren, weil er vom möglichen Erfolg des Medikaments profitieren könnte.
Die Verbindung zwischen der Vergangenheit des Vaters und der Gegenwart des Sohnes stellt eine Patientin her, die in Eiichis Krankenhaus eingeliefert wird. Sie entpuppt sich als die hoffnungslose Liebe des Freundes von Ozu. Nach einem Experiment mit einem neuen Krebsmedikament stirbt die Frau, doch den Arzt Eiichi belastet der Tod der Patientin nicht im geringsten. Als sein Vater von den Vorfällen erfährt und seinem Sohn Vorhaltungen macht, kommt Eiichi zu der Erkenntnis: „Dieses Haus und meine Familie haben nichts mehr mit meinem Leben oder meiner Karriere zu tun. Sie sind höchstens ein Hindernis...“
Olaf Mack
Shusaku Endo: Eine Klinik in Tokio, Aus dem Englischen von Rainer Rönsch, Verlag Schneekluth, München, 290Seiten, 36 Mark.
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