„Wir bewegen uns außerhalb der kirchlichen Mauern“

Michael Arnold (25), Leipziger Koordinator der Gruppe „Neues Forum“ und Erstunterzeichner des „Aufbruchs 1989“, über die Verhaftungen in Leipzig  ■ I N T E R V I E W

taz: Es sieht so aus, als wollten Partei und Staat es in Leipzig auf eine Kraftprobe mit den Oppositionellen ankommen lassen. Warum reagieren sie auf gewaltfreie Demonstrationen mit Massenfestnahmen, Haftbefehlen und drakonischen Geldstrafen?

Michael Arnold: Es gibt eine gewisse Konzeptlosigkeit, und man muß bedenken, daß die Partei- und Staatsführung über eine lange Zeit innenpolitisch das Monopol hatte und allein bestimmen konnte, wie gesellschaftliche Probleme zu behandeln seien. Derzeitig fühlt sie sich von außen und innen unter Druck gesetzt. Von innen durch ein breit anwachsendes, aber noch diffuses, nicht zielgerichtetes Protestpotential. Dem will die Führung innenpolitisch beikommen, indem sie Druckmechanismen anwendet und zu Polizeimaßnahmen greift.

Vorläufig scheinen die Vermittlungsbemühungen von Bischof Hempel hinsichtlich der Freilassung der elf Inhaftierten gescheitert zu sein.

So sieht es aus. Aus Gesprächen mit den Sicherheitskräften nach meiner Festnahme habe ich herausgehört, daß sie versuchen, auf Teufel komm raus bei den noch Inhaftierten ein Exempel zu statuieren: sie weiterhin in Haft zu halten und unter allen Umständen abzuurteilen. Hier gibt's nur eine Möglichkeit: eine große, breit angelegte Solidarität, die eindeutig vermittelt, daß die Inhaftierten nicht allein stehen.

Das Neue Forum wurde heute in Leipzig bei den Behörden angemeldet. Wird diese Initiativgruppe eine Art Sammelpunkt für die diversen lokalen Basisgruppen?

Das kann man nur hoffen. Ein Teil der Basisgruppen, die in die Kirche integriert sind, werden uns noch etwas zweifelnd gegenüberstehen. Es ist ja kein Schutz mehr da, wir bewegen uns vollkommen außerhalb der kirchlichen Mauern. Letztlich bietet nur die Öffentlichkeit, besser gesagt: die Bekanntmachung des Neuen Forums einen gewissen Schutz. Wir wollen vor allem auch Leute ansprechen, die bisher nicht bei den Basisgruppen oder kirchlichen Friedensgruppen mitgemacht haben. In Leipzig gibt es rund 100 Unterzeichner des Aufrufs, landesweit sind es 1.500. Aber 1.500 sind bei einer Bevölkerung von mehreren Millionen noch wenig.

Das Neue Forum ist ja auch eine Reaktion auf die jahrelange politische Zurückhaltung der Kirche. Während der Bundessynode in Eisenach indes wurden konkrete Reformen und demokratische Rechte eingeklagt. Wird die Kirche mutiger?

Ich weiß nicht, was in Eisenach im einzelnen diskutiert wurde. Aber ich kann mir vorstellen, mit welcher Motivation dort Forderungen formuliert wurden. Einerseits bemerken kirchliche Mitarbeiter, daß eine Opposition sich außerhalb der kirchlichen Mauern aufbaut und profiliert. Andererseits haben die langjährigen Gespräche zwischen Staat und Kirche eine gewisse Grenze erreicht. Es gibt kein Näherrücken.

Welche konkreten Schritte wird das Neue Forum jetzt gehen?

Zunächst müssen Organisationsfragen und dann vor allem inhaltliche Fragen bearbeitet werden. Wir wollen ein Diskussionsforum zu Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft sein. Eine der wichtigsten Fragen, auf die wir Antworten geben müssen, lautet: Wie soll es mit der DDR -Wirtschaft weiter gehen.

Das Gespräch führte Knud Rasmussen