: „... solange die Welt bleibt, wie sie ist ...“
■ Luciano B. steht zum wiederholten Mal wegen versuchten Totschlags vor Gericht, weil er einen Mithäftling erschlagen wollte / Er bereut nichts - und will auch nicht raus / Seine Lebensphilosophie: „Lieber ein Kaufmann weniger“
Der Italiener Luciano B. ist bei den Richtern der Großen Strafkammern im Kriminalgericht Moabit ein bekannter Mann. 1981 wurde der impulsive 50jährige Kraftfahrer wegen schweren Raubes zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, 1985 wegen versuchten Totschlags zu acht Jahren.
Beide Taten hatten sich gegen seinen ehemaligen Chef gerichtet, bei dem er als Schwarzarbeiter tätig war. Nachdem er 1981 nach einem Streit rausgeflogen war, war er mit gezogener Waffe in das Firmenbüro gestürmt, um seinen ihm vermeindlich noch zustehenden Lohn von 1.090 Mark wildwestmäßig einzutreiben. Er erbeutete aber nur 890 Mark und wanderte kurz darauf in den Knast. Nach verbüßter Haft kaum entlassen, kreuzte er wieder mit gezogener Waffe bei seinem Chef auf - diesmal mit dem festen Entschluß ihn zu töten. Der Anschlag ging fehl, weil der Chef ihm die Pistole aus der Hand schlug und Luciano B. wanderte wieder in den Bau.
Seit gestern steht Luciano B. erneut vor Gericht. Der Vorwurf lautet wieder auf versuchten Totschlag. Er soll versucht haben, einen Mitgefangenen im Langstrafer Haus III in Tegel mit dem Hammer zu erschlagen. Aber diesmal steht für dem Italiener mehr als eine lange Freiheitsstrafe auf dem Spiel: die Staatsanwaltschaft hat die Sicherungsverwahrung beantragt. Bereits der gestrige erste von drei Verhandlungstagen ließ hoffen, daß sich die 27. Strafkammer unter Vorsitz gründlich mit dieser Frage auseinerandersetzen wird. Der Grund dafür ist die Persönlichkeit des Angeklagten, die sich nicht ins übliche Raster einordnen läßt.
Das liegt weniger daran, daß Lucinano B. ein für Moabiter Angeklagten-Verhältnisse ungewöhlich intelligenter, eloquenter und zudem äußerst temperamentvoller Mann ist, sondern an seiner mit viel Verve vorgetragenen Lebensphilosophie. Wenn man seinen Ausführungen über seine „Lebensfeinde“ - die Kaufleute - und seine „rein biologische Hemmung zu töten“ lauschte, war man geneigt zu glauben, er sei psychisch krank. Je mehr er jedoch von sich erzählte, drängte sich ein anderer Schluß auf: Luciano B. ist ein Extremist.
Den Vorwurf der Anklage, auf seinen Mitgefangenen N. mit einem Hammer eingeschlagen zu haben, gab Luciano B. unumwunden zu. Er habe sich an N. rächen wollen, weil dieser mit dem Gefangenen R. unter einer Decke stecke. Dazu kurz die Vorgeschichte: Zwischen R. und Luciano B. war es im August 1987 auf der Station C III im Langstraferhaus zu einer handgreiflichen Auseindersetzung gekommen, bei der Luciano B. eigenen Angaben zufolge in Notwehr mit einem Messer auf R. eingestochen hatte. Obwohl deshalb noch ein Strafprozeß gegen Luciano B. anhängig ist, war er von einem Zivilgericht per Versäumnisurteil zur Zahlung von 4.000 Mark Schmerzensgeld an R. verurteilt worden.
Das Urteil wurde später zwar aufgrund von Luciano B.'s Einspruch hin bis zur Entscheidung der Strafsache ausgesagt, aber trotzdem lief die Vollstreckung von Geldpfändungen von dem Konto Luciano B.'s weiter. Über diese Pfändungen, so Luciano B. gestern, sei er so verärgert gewesen, daß er sich entschlossen, habe R. und dessen Kumpel N. umzubringen. N. nur deshalb, weil dieser R. seiner Meinung nach zu dazu geraten habe, die Pfändung in die Wege zu leiten.
Darum, so Luciano B. weiter, habe er sich am 31. Janauar dieses Jahres mit einem Hammer und einem Messer bewaffnet zu den Zellen der beiden Gefangenen begeben. Nachdem er sie dort nicht angetroffen habe, habe er ihnen am Treppenaufgang aufgelauert und auf N. mit dem Hammer eingeschlagen. N. konnte den Schlag jedoch abwehren, und Luciano B. wurde festgenommen.
„Für mich ist es das Schönste, zu vergessen, daß die Leute überhaupt existierten“, sagte der Angeklagte über seine Mithäftlinge im Knast. „Nur wenn sie Geld wollen, dann sind sie meine Feinde, die mir den Alltag im Knast verleiden.“ Auch auf mehrmalige Nachfrage blieb der Angeklagte dabei, daß er die beiden Gefangenen jederzeit wieder angreifen würde, wenn sie Geld von ihm wollten. Von solchen Taten würde ihn auch die Angst vor weiterem Knast nicht abhalten, weil er ohnehin „kein Verlangen habe rauszukommen, solange die Welt bleibt wie sie ist“.
Bei der ausgiebigen Befragung durch das Gericht kam nach und nach heraus, daß Lucinao B.'s „Lebensfeinde“ die Kaufleute sind. Ein Grund dafür, bestätigte der Angeklagte, sei vielleicht, daß er als kleiner Junge von seiner Mutter beauftragt worden sei, auf Pump zum Kaufmann zu gehen, weil sich die Mutter dies nicht getraut habe. Als Ausdruck seiner Lebensphilospie - „lieber ein Kaufmann weniger als ein Kaufmann mehr“ verteidigte er auch den früheren Entschluß seinen Berliner Chef umzubringen. „Wer mich angreift, muß spüren, daß ich mir das nicht gefallen lasse“, sagte Lucianio B., Hemmungen zu töten habe er „nur biologische“: „So wie die Tiere, die ihren Artgenossen auch nicht ohne bestimmten Grund wehtun“.
plu
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