: „Mangelnde Fähigkeiten“
Deng Xiaoping ist bald vergessen, sagt Biograph Uli Franz ■ I N T E R V I E W
taz: Vor einem Jahr galt Deng Xiaoping noch als der große Reformer. War die Einschätzung des Westens falsch, oder hat er sich mit 85 noch geändert?
Uli Franz: Deng war schon immer konservativ. Viel mehr als Mao. Schon während der Hundert-Blumen-Bewegung hat Deng klargemacht, daß die Vier Prinzipien (Diktatur des Proletariats, Führung der KP, Sozialismus, Marxismus -Leninismus und Mao-Zedong-Idee) Grundpfeiler der Politik bleiben müssen. Er war es auch, der 1978/79 die Bewegung an der Mauer der Demokratie verbieten ließ und Hu Yaobang sowie Zhao Ziyang stürzte. Er hat Leute und Strömungen immer nur benutzt, um seine Feinde in der Partei auszuschalten. Er ist ein dogmatischer Sozialist, vielleicht sogar ein Stalinist.
Hat sich das Volk nach dem Massaker eindeutig von der Partei und Deng Xiaoping distanziert, oder gibt es noch Smpathien für Deng?
Entscheidend ist, daß es 800 Millionen Bauern in China gibt. Den Bauern hat Deng sehr viel Fortschritt gebracht, obwohl man sehen muß, daß die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinanderklafft. Es hat zwar Bauerndemonstrationen gegeben, aber Deng hat bei ihnen seinen Kredit noch nicht endgültig verspielt. In den Städten und bei der Intelligenz ist er aber unten durch. Das größte Problem kommt dennoch vom Land. Wenn die armen Bauern in die Städte ziehen und diese verslumen.
Und das wäre dann auch das Ende der KP?
Ich glaube nicht an die Prognosen der Dissidenten, die vergangene Woche in Paris tagten, daß dieses Regime in drei Jahren stürze. Die KP kann noch sehr lange mit Waffengewalt regieren. Weil sie noch viele Ressourcen hat, aber auch, weil die Opposition zersplittert ist und die Intellektuellen in China nicht viel Zivilcourage zeigen.
Die Frage des Rücktritts Deng Xiaopings: Wird sie natürlich oder politisch ein Lösung finden?
Ich gehe davon aus, daß Deng Xiaoping nicht zurücktritt. Er hat Alterskrebs. Doch zeigte er sich nach Ende seines Urlaubs in Baidahe vorletzte Woche sehr fidel. Er hat in Partei und vor allem in der Armee ein sehr hohes Ansehen. Hohe Militärs wie Nie Rongzhen (Marshall der VBA, d.Red.) haben sich schon vorher gegen das Massaker ausgesprochen, aber Deng hat sich und die Armeeführung stets durchgesetzt, und das Volk beugt sich wie der Bambus; bevor Deng stirbt, wird es nicht aufstehen.
Wer könnte dann der Nachfolger sein?
Premier Li Peng tritt gegenwärtig etwas in den Hintergrund. Parteichef Jiang Zemin gewinnt etwas an Bedeutung, doch das ist ein Interimskandidat. Er hat kein Profil und kein Charisma. Zu gegebener Zeit wird irgendeine Handpuppe einer Fraktion auftauchen, wahrscheinlich des Militärs, die im Vordergrund herumkaspert, während die ganzen grauen Eminenzen im Hintergrund die Fäden ziehen. Yang Shangkun ist ein wichtiger und gefährlicher Mann, weil er wenig intellektuellen Hintergrund hat, um moralisch-ethische Kategorien in die Politik einzubringen, sondern nur militärisch harte Lösungen bevorzugt.
Wie konnte es angehen, daß der große Taktiker selbst die Saat für die Bewegung ausgeworfen hat, die ihn nun stürzen will?
Ich glaube, er hat sich überschätzt, er hat die KP überschätzt, und er hat die normative Kraft des Faktischen unterschätzt. Er hat geglaubt, daß dieses dichotomische Werk aus Wirtschaftsreform und politischer Orthodoxie funktionieren würde. Übringens auch ein Beweis für seine mangelnden intellektuellen Fähigkeiten.
Wie wird Deng in die Geschichte eingehen: als der Schlächter vom Tiananmen?
Seine historische Funktion war darauf beschränkt, einzelne Steine aus dem Steinbruch herauszuschleppen, den Mao eingerichtet hat. Doch in China müssen noch viele schwere Ideologiebrocken abgetragen werden. In zehn Jahren wird Deng im Gegensatz zu Mao nur wenigen in Erinnerung sein.
Vielleicht als einer, der die Korruption bekämpfen wollte, in die er selbst zutiefst verstrickt war. Was haben sich Deng und sein Familienklan zu Schulden kommen lassen?
Sein Sohn Deng Pufang hat zwar den chinesischen Wohlfahrtsverband gegründet. Doch mit seiner Wohlfahrtsorganisation hat er ein großes Wirtschaftsimperium mit 150 Tochterunternehmen aufgezogen. Es wurden Gelder nach Hongkong und in die Sonderwirtschaftszone Shenzhen verschoben. Deng mag nicht alles gewußt haben, aber die entscheidenden Fakten muß er gekannt haben. Denn sein Schwiegersohn He Ping arbeitet in einer Firma Kanghuas, die für den Waffenexport verantwortlich ist. Dieser Klan hat mittlerweile eine Verflechtung nach altem chinesischem Muster von sagenhaft Ausmaßen angenommen. In den letzten Wochen wurden zwar die mittleren und unteren Chargen der Kanghua-Gesellschaft streng bestraft und mußten ein Bußgeld von etwa 24 Millionen Mark bezahlen. Doch der Sohn von Deng wurde aus dem Schußfeld genommen. Man kann davon ausgehen, daß im Namen der Firma zahlreiche Nummernkonten und Briefkastenfirmen im Ausland bestehen.
Viele Chinesen wünschen Deng Xiaoping den Tod. Würde auch sein Biograph lieber das Kapitel Deng abschließen?
Ich gehe davon, daß nach dem Tode von Deng Xiaoping die Situation in Chinas schlimmer wird. Nach dem Tode von Deng Xiaoping besteht die Gefahr, daß ein Bürgerkrieg ausbricht. Es bleibt dem Volk das Beste zu wünschen, und das heißt zunächst, daß das Land nicht in kleine Teile zerfällt und die Intellektuellen sich zusammenraufen.
Das Interview führte Jürgen Kremb.
Die Deng-Xiaoping-Biographie von Uli Franz ist im Heyne -Verlag erschienen: Deng Xiaoping - Eine Biographie.
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