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Auswege aus dem fruchtbaren Humus

■ SPD-Diskussionsabend: „Drogen in Kreuzberg“ / Die Patentlösung gibt es nicht / Projekt „Große Freiheit“ will mit neuem Konzept starten / Wie immer fehlt es am Geld / Hamburger Senat geht mutiger voran / Legalisierung harter Drogen noch in weiter Ferne

„Das Drogenproblem ist nicht zu lösen!“ Dieser simple Satz war wohl die vernünftigste Äußerung während der SPD -Diskussionsveranstaltung am Mittwoch abend zum Thema „Drogen in Kreuzberg“. Eingeworfen wurde sie von einem Zuhörer - in den Reihen der SPD wie auch der Polizei hofft man jedoch offenbar weiter auf die Zauberformel. Die Legalisierung von Drogen - ob Heroin oder Haschisch - ist indiskutabel, betonte Raimund Bayer (SPD), Vorsitzender des Jugendausschusses im Abgeordnetenhaus. Die Zauberformel aber hat auch die Senatsverwaltung noch nicht gefunden, das ersehnte neue Gesamtkonzept rot-grüner Drogenpolitik ist frühestens in einem Dreivierteljahr zu erwarten. Bemüht, dieses Manko auszugleichen, übertrug sich die irritierende Dynamik seines Zeigefingers schon bald auf den ganzen Körper Bayers, wie eine Sprungfeder schnellte er empor, um den anwesenden rund 60 KreuzbergerInnen die neueste Nachricht aus dem Abgeordnetenhaus zu verkünden: Die Methadonvergabe werde in das Drogenprogramm integriert, 500.000Mark stünden dafür im Haushalt 1990 zur Verfügung. Brüllendes Gelächter schlug ihm aus dem Publikum entgegen - eine solch lächerliche Summe wollte niemand als Erfolg anerkennen. In Hamburg rechnet man bei Substitutionstherapien einschließlich sozialer Betreuung mit 40.000Mark pro Nase und Jahr; bei gleichem Ansatz und einem Topf von einer halben Million käme Berlin nicht allzuweit.

Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Sucht kamen am Mittwoch abend nur am Rande zur Sprache. Gerhard Ulber, seit zwölf Jahren Leiter des Referats Rauschgiftbekämpfung bei der Kriminalpolizei, bevorzugte vom Podium aus lieber simple Handlungsanweisungen: Den Anwohnern von Kottbusser Tor, die über herumliegende Spritzen in Hauseingängen und auf Kinderspielplätzen schimpften, verriet er das Geheimnis vom Nollendorfplatz. Dort begannen die Anwohner einfach, ihre Haustüren abzuschließen - und weg war das (Drogen-)Problem.

Präsent, wenn auch nicht für jeden offensichtlich, bleiben jedoch die mindestens zehn Drogentoten in diesem Jahr allein in Kreuzberg. Knapp 20Prozent der Einwohner sind Sozialhilfeempfänger, der Ausländeranteil liegt über 50Prozent, rund 700 Obdachlose sind offiziell gemeldet, die Dunkelziffer liegt mindestens doppelt so hoch. Hochexplosiver sozialer Sprengstoff also - und fruchtbarer Humus für die Drogendealer. Den daraus entstehenden Teufelskreis hofft das Projekt „Große Freiheit“ mit seinem Konzept zu durchbrechen. Es beruht auf zwei gleich starken Säulen - medizinischer und sozialer Betreuung - und soll mit einem 22köpfigen MitarbeiterInnenstab rund um die Uhr geöffnet sein. Da die meisten Drogenabhängigen Politoxikomanen sind - sogenannte „Allesfresser“ - will sich die „Große Freiheit“ nicht auf Alkohol-, Medikamenten- oder Heroinsüchtige spezialisieren. Sie ist genauso als niedrigschwellige Anlaufstelle für Drogenabhängige gedacht wie als Kontakt- und Hilfestelle für Leute, die bereits clean, aber rückfallgefährdet sind. Wenn die „Große Freiheit“ jemals realisiert wird - bislang ist niemand bereit, die Anfangskosten in Höhe von 2,2 Millionen Mark zu tragen.

Grundsätzlich davon angetan rieten Bezirks- und Gesundheitsverwaltung zur Schlankheitskur - und empfahlen dem Projekt, den teuren medizinischen Bereich abzuspecken. Doch damit bricht das Modell in sich zusammen, die Hilfesuchenden ohne Krankenschein fallen unten durch. Denn ohne Krankenschein muß kein niedergelassener Arzt einen Patienten versorgen - gerade diesem Klientel aber will die „Große Freiheit“ schnell und unkompliziert medizinische Hilfe bieten. Doch neben zu schmalen Finanztöpfen scheint auch die Akzeptanz gegenüber solchen Selbsthilfegruppen nicht allzu groß. Als „Gesundheitsbasisversorgung für gebeutelte Kreuzberger“ bezeichnete der Landesdrogenbeauftragte Wolfgang Penkert abschätzig das Konzept der „Großen Freiheit“. Und während dieses Projekt um seine Verwirklichung kämpft, wackelt bei einem anderen bereits das Fundament: Ohne Finanzhilfe vom Senat muß die „Oranienetage“, eine Übernachtungseinrichtung für Drogenabhängige, Ende des Jahres die Pforten schließen.

Eines wurde auf der Diskussionsveranstaltung deutlich: Noch blockieren sich Polizei, Selbsthilfegruppen und Senatsverwaltungen gegenseitig - ein uneffektives Gerangel, was der Hamburger Senat glaubt, längst überwunden zu haben. Wie Ulrich Koch vom Hamburger Landesamt für Rehabilitation berichtete, hat man sich dort auf ein ständig aktualisiertes Drogenhilsfprogramm verständigt - durch Vernetzung aller zuständigen Bereiche, ohne individuelle „Glaubenskriege“. Den Betroffenen soll kein starres Programm übergestülpt werden, sondern Einzelfallbehandlung ist die Devise. Mit der praktizierten Vergabe von Methadon - „nichts anderes als eine legalisierte Droge“ - hat der Hamburger Senat den ersten Schritt seines reformierten Drogenprogramms vollzogen: Wenn sich der Marktmechanismus dadurch durchbrechen läßt - dies wird zur Zeit geprüft und diskutiert - will Hamburg im Gegensatz zu Berlin dann auch die Legalisierung und staatliche Vergabe von harten Drogen per Gesetz durchsetzen.

Martina Habersetzer

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