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„Die haben ganz plötzlich wahllos losgeprügelt“

■ Auch einige Westberliner und Ausländer wurden in Ost-Berlin festgenommen und mißhandelt

R. aus West-Berlin verbrachte die Nacht zum Sonntag im Ostberliner Knast. Er berichtete der taz:

„Ich bin am Samstag mit einer Gruppe von etwa hundert Leuten vom Alex weggegangen, Richtung Prenzlauer Berg. Gegen 23 Uhr, als die Gruppe in eine Seitenstraße zur Dimitroffstraße einbog, kamen plötzlich massenhaft Bereitschaftspolizisten auf uns zu und machten die Straße vorne und hinten dicht. Ohne irgendeine Aufforderung sind die Polizisten losgestürmt und haben wahllos alle aufgegriffen, die dort auf der Straße waren. Es gab kein Entweichen. Ich bin mit einigen anderen in einen Hauseingang geflüchtet. Aber da haben sie uns rausgezerrt und rausgeprügelt, mit den Gummiknüppeln immer auf die Beine. Ich wurde zu einem Mannschaftswagen geprügelt und dort richtig hochgeschmissen. Die Polizisten sind hinterher und haben im Wagen weitergeprügelt. Die waren total haßerfüllt, haben geschrien und uns beschimpft. In unserem Mannschaftswagen waren schließlich rund 30 Leute, darunter auch viele Frauen. Einige hatten Kopfplatzwunden und bluteten stark. Jedesmal wenn wir miteinander sprachen, prügelten die Polizisten erneut los. Bei uns im Wagen durfte man keinen Mucks machen.

Wir wurden dann nach Rummelsburg in das dortige Gefängnis gefahren und haben dort erst einmal fast drei Stunden in Mannschaftswagen gesessen. Jeweils zwei Polizisten holten dann einen Festgenommenen vom Wagen runter. Einige wurden angebrüllt, sie sollten gefälligst gerade stehen. Eine ganze Gruppe von Festgenommenen wurde in einer offenen Garage von Polizei bewacht. Erst als wir unsere Ausweise abgeben mußten, stellten sie fest, daß sie auch Ausländer festgenommen hatten, außer mir zum Beispiel Professor Peter Marcuse, den Sohn von Herbert Marcuse, der amerikanischer Staatsbürger ist. Daneben einen völlig verängstigten Westberliner, der bloß auf die Straßenbahn gewartet hatte. Uns Ausländer hat man sofort von den anderen getrennt. Ich wurde in den Keller geführt und mußte mich dort nackt ausziehen, mich mit dem Gesicht zur Wand drehen und Kniebeugen machen. Als ich mich dann wieder anziehen durfte, bestanden sie darauf, daß ich meine Socken verkehrtherum anziehe.

Schließlich wurde ich in eine Gemeinschaftszelle geführt, in der rund zehn Leute saßen, überwiegend junge DDR-Bürger, viele von ihnen waren unter 18 Jahren. Wir Ausländer wurden dann nach zwei Stunden in Handschellen von Stasi-Leuten abgeführt und in einem Gefangenentransporter mit winzigen Einzelzellen zur Stasi nach Lichtenberg gebracht. Dort bin ich drei Stunden lang von einem sehr höflichen Stasi-Mann verhört worden: Wo ich an dem Abend überall gewesen sei, mit welchen Leuten ich mich getroffen hätte usw. Den ursprünglichen Vorwurf der 'unerlaubten Zusammenrottung‘ hat man dann fallenlassen. Und um sieben Uhr morgens hat man mich schließlich laufen lassen, nachdem ich eine Verpflichtung unterschreiben mußte, keinen Kontakt mit 'staatsfeindlichen Gruppen‘ in der DDR aufzunehmen.“

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