"Wir werden uns der Sache annehmen, aber..."

■ SPD-Justizsenatorin Limbach zur Frage: Warum hat sich nach einem halben Jahr rot-grüner Justizpolitik nichts verändert?

taz: Frau Limbach, Sie sind seit einem halben Jahr Justizsenatorin. Der Unmut in der kritischen Öffentlichkeit wächst, daß von den Koalitionsvereinbarungen gerade im Bereich Strafvollzug noch nichts spürbar ist. Nehmen Sie die Vereinbarungen so wenig ernst oder können Sie sich - wie Sie neulich gegenüber der taz anklingen ließen - nicht durchsetzen?

Jutta Limbach: Ich wüßte nicht, daß ich gegenüber der taz habe anklingen lassen, daß es mir an Durchsetzungsvermögen fehle. Sie haben die Kritik ja richtig eingeschränkt. Auf der einen Seite muß man den Auftrag des Strafvollzugsgesetzes bedenken, wonach der Gefangene befähigt werden soll, künftig ein Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung zu führen. Auf der anderen Seite sind immer die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung zu bedenken.

Sie haben neulich gesagt, Sie würden „ernsthaft überlegen“, das Bruchsaler Modell - die familienfreundliche Besuchsstunde für Gefangene - in Berlin einzuführen. Sie selbst seien dazu bereit, müßten aber noch „gegen ihre Männer kämpfen“. Ich nehme an, gegen die Herren in der Spitze und in der Abteilung V für Strafvollzug. Also doch mangelndes Durchsetzungsvermögen?

Sie tun den Männern in der Spitze unrecht, die durchaus auch in diesem Punkte nachdenklich sind. Das gilt auch für die Anstaltsleitung in der JVA Tegel. Mir geht es darum, daß ich meinen Mitarbeitern nicht irgend etwas qua Anordnung aufstülpen möchte, sondern sie dafür gewinnen will. Diese Familien-Besuchszentren sind unter dem Stichwort „Intimzellen“ in der Vergangenheit schon kritisch diskutiert worden. Da hatte sich unter meinem Amtsvorgänger die Meinung herausgebildet, daß Berlin nicht etwas derartiges machen sollte.

Wird das Bruchsaler Projekt hier eingeführt oder nicht?

Ich möchte das tun. Seit langem sind in der Tegeler Anstalt Überlegungen im Gange, wie und wo die Gesprächsstunden ermöglicht werden können. Ich hoffe, wir werden bald zu einem Ergebnis kommen.

Welche Reformen von den Koalitionsvereinbarungen haben Sie schon eingelöst?

In der U-Haft wurde einiges verbessert, um die Suizidrate zu vermindern. Wir wollen dort ein Beratungszentrum einrichten, und sind mit externen Beratungsstellen, der Staatsanwaltschaft und Gerichten im Gespräch. Völlig neu ist, daß auf zwei Stationen der 23stündige Dauereinschluß gelockert und Aufschlußzeiten - zweimal wöchentlich je zwei Stunden - eingeführt wurden. Ferner sind für 1990 mehrere neue Sozialarbeiterstellen zur Betreuung der U-Gefangenen vorgesehen, sofern der Haushalt bewilligt wird. In der Frauenhaftanstalt haben wir für das Haus V - es bereitet uns am meisten Sorge, weil hier diejenigen sitzen, die mit Betäubungsmitteln zu tun haben - Lockerungen eingeführt. Wie Sie wissen, können die Gefangenen seither im Gruppenraum mit ihren Familienangehörigen zusammen kommen und müssen sich nicht über die Trennscheibe unterhalten.

Das liegt aber schon ein Vierteljahr zurück. Ist im Frauenknast darüber hinaus etwas passiert?

Nein, denn wir haben jetzt mit den Konsequenzen dieser damals im Haus V erweiterten Aufschlußzeiten zu tun. Die Anstalt klagt jetzt nämlich über einen zunehmenden Betäubungsmittelkonsum. Wir sind gebeten worden, die Anordnungen zurückzunehmen. Damit müssen wir uns jetzt auseinandersetzen. Damit will ich Ihnen nur deutlich machen, daß ich mit solchen Maßnahmen keinen Erfolg haben kann, wenn ich die Mitarbeiter des Vollzugsdienstes nicht mit einbinde.

Anstaltsleiter Höflich war ja von Anfang an dagegen und die hautsächlich im VdJB (Verband der Justizvollzugsbediensteten) organisierte Beamtenschaft macht auch schon seit der Wende mit Begriffen wie „Zerschlagung des Strafvollzugs“ gegen Rot-Grün Stimmung. Stehen Sie auch für die Einhaltung der Koalitionsvereinbarung ein, wenn es so wie jetzt beim Frauenknast - Probleme mit den Mitarbeitern gibt?

Sie unterstellen so viele Dinge, von denen Sie gar nicht wissen, daß sie sich so verhalten. In diesen Organisationskonferenzen, gerade in der Frauenvollzugsanstalt, sind zu unserer großen Freude sehr kreative Vorschläge gemacht worden. Die Mitarbeiter kommen gar nicht zu dem Ergebnis, daß alles Unsinn sei, was in der rot-grünen Koalition vereinbart wurde. Ich komme also gar nicht in diese Verlegenheit, gegen eine sich von der Koalitionsvereinbarung absetzende Gruppe von Mitarbeitern angehen zu müssen. Aber es kann durchaus sein, daß ich aufgrund der Erfahrungen in der einen oder anderen Sache zu dem Ergebnis komme, daß ich die Koalitionsvereinbarung nicht umsetzen kann.

Den Insassenvertretungen wurde zugesichert, daß sie zu den Organisationskonferenzen eingeladen werden. Das ist noch kein einziges Mal passiert.

Die Beratungen sind ja noch nicht zu Ende. Die Insassenvertretungen werden auf alle Fälle vor Abschluß der Beratungen angehört werden. Ein genauer Zeitpunkt steht noch nicht fest.

Die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft soll laut Koalitionsvereibarung aufgelöst werden. Das ist noch nicht geschehen. Statt dessen würde eine Prüfungsgruppe beauftragt, einen Entwurf zur Umstrukturierung der Staatsanwaltschaft auszuarbeiten. Wie werden Sie sich verhalten, wenn sich die Prüfungsgruppe gegen die Auflösung der P-Abteilung ausspricht?

Auf einer Personalversammlung der Staatsanwaltschaft wurde ich gefragt, wie ich mich verhalten werde, wenn die von mir eingesetzte Arbeitsgruppe „Umstrukturierung der Staatsanwaltschaft“ zu einem anderen Ergebnis als die Koalitionsvereinbarung käme. Da habe ich gesagt, wenn das der Fall wäre und die Prüfungsgruppe mich überzeugte, dann würde ich dieses Ergebnis mit den Mitgliedern unserer Parteien besprechen, mit dem Rechtsausschuß, mit den Berufsverbänden und mit den Mitarbeitern selbst. Und wenn ich dann unsere politische Gefolgschaft nicht zu überzeugen vermöchte, würde ich nicht schlicht die Koalitionsvereinbarung ausführen, sondern möglicherweise meine persönlichen Konsequenzen daraus ziehen.

Das Ergebnis der Prüfungsgruppe ist Ihnen noch nicht bekannt?

Nein, die Arbeit liegt noch nicht vor.

Wird die P-Abeilung möglicherweise auf bestimmte „Straftaten mit politischem Bezug“ reduziert?

Ich würde der Prüfungsgruppe vorgreifen, wenn ich das bejahte. Es gibt bestimmte Kriterien, unter denen Spezialzuständigkeiten sinnvoll sind - wenn ein besonderes Hintergrundwissen und eine besondere Sachkunde erforderlich sind. Das gilt zum Beispiel für die organisierte Wirtschaftskriminalität als auch für die Schwarzarbeit.

Braucht man für eine Strafverfolgung in Sachen „Pflasterstein“ ein Spezialwissen?

Das meine ich nicht.

Daß gegen den Staatsanwalt der P- Abteilung Schweitzer anhängige Ermittlungsverfahren wegen der rechtswidrigen Räumung der Gitschiner straße wurde mit der Begründung eingestellt, er habe sich eben geirrt. Wie können Sie die P -Abteilung noch ruhigen Gewissens auf die Menschheit loslassen?

Was Sie mir jetzt zumuten, kann und werde ich in diesem Amt nicht tun, nämlich verbreiten, was ich als Privatgeschöpf denke. Aber wenn ich das täte, würde es mir natürlich auch als Justizsenatorin angerechnet. Darum gebe ich Ihnen diese Antwort nicht, sondern halte mich mit meiner Meinung zurück, bis die Arbeitsgruppe ihren Bericht erstattet hat und ich mich mit ihr auseinandergesetzt habe. Ich habe es schon erlebt, daß man mir - als ich einmal spontan meine Meinung geäußert habe - als Justizsenatorin Befangenheit nachgesagt hat. Also halte ich mich betont zurück, bis ich in meiner Eigenschaft als Justizsenatorin zu entscheiden habe.

Gegen Eltern wird wegen Sachbeschädigung Anklage erhoben, weil ihre Kinder bei einer Aktion zur Verkehrsberuhigung ihre Straße bemalt hatten. Das Ermittlungsverfahren gegen den Kammerrichter Weiß wegen Sachbeschädigung wird eingestellt, obwohl er die provisorische Gedenktafel für die Opfer des Reichskriegsgerichts zerstören ließ. Was sagen Sie zu diesen jüngsten Leistungen der P-Abteilung?

Ich habe mich wiederholt mit meinen Mitarbeitern als auch mit den Mitgliedern beider Parteien darüber unterhalten, ob ich zu dem zuletzt erwähnten Fall schon meine Stellungnahme als Justizsenatorin abgeben soll. Es fiel uns schwer, aber wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß es klüger sei, erst den Bericht der Arbeitsgruppe abzuwarten, die diese Fälle treulich recherchiert, um das Ganze bei der Frage der Umstrukturierung als Argumentation mit ins Feld zu führen. Ich habe im Rechtsausschuß zu dem Fall der Gedenktafel auch nur so viel gesagt, daß wir der Staatsanwaltschaft noch Texte übergeben haben, damit sie noch weitergehende Ermittlungen anstellt. In der Sache selbst habe ich mich mit Rücksicht auf das laufende Beschwerdeverfahren des Büros für ungewöhnliche Maßnahmen nicht geäußert, weil die Justizverwaltung hier möglicherweise noch selbst zu urteilen haben wird. Sie wissen aber, daß ich damals prompt beantragt habe, das Disziplinarverfahren zu eröffnen.

Die HIV-Infektionsrate in den Knästen steigt erschreckend. Die Zahlen der Aids-Hilfe sind bekannt: 350 bis 400 Drogen-Konsumenten allein in Tegel, davon mindestens 50 Prozent HIV-positiv, bis zu 15 Gefangene benutzen dieselbe Spritze. Werden Sie die Vergabe von sterilen Einwegspritzen in den Knästen genehmigen?

Wir setzen uns mit dieser Frage noch auseinander. Uns erscheint eine solche Maßnahme nicht vertretbar. Die rechtlichen Argumente sind ja bekannt. Es ist auch darüber nachgedacht worden, im Bereich des Strafvollzugs ein Methadon-Programm durchzuziehen. Wir werden hier nicht die Vorreiter spielen und die Diskussion in und mit der Gesundheitsverwaltung abwarten.

Nun besteht aber dringender Handlungsbedarf, schließlich ist Aids keine Grippe, sondern eine todbringende Krankheit. Wie können Sie das mit Ihrer Fürsorgepflicht für die Gefangenen vereinbaren?

Die Zahlen, die Sie nennen, werden in meinem Haus bestritten. Aber selbst wenn es geringere Zahlen wären, macht es das Problem nicht weniger wichtig. Es besteht dringender Handlungsbedarf, aber es gibt darauf nicht nur eine Antwort.

Was ist die andere Antwort?

Wir sind noch immer dabei zu sehen, wie wir überhaupt unterbinden können, daß in diesem Maße Drogen in die Anstalt kommen können.

Das ist doch utopisch.

Daß es völlig utopisch ist, kann ich nicht bejahen. Daß es immer Kanäle geben wird, kann ich nicht verneinen. Aber das macht mich nicht in dem Bemühen irre, trotz allem zu versuchen, das einigermaßen in den Griff zu bekommen.

Sind Sie bereit, zusammen mit der Aids-Hilfe eine Kommission einzurichten, um das Problem gemeinsam anzugehen?

Das ist der Fall.

Wann werden die Sicherheitgruppen definitv aufgelöst?

Wenn wir eine Organisationsform für die Sicherheitsaufgaben gefunden haben, die auch in Zukunft wahrgenommen werden müssen. Die Sicherheitsbeauftragten von Tegel und Moabit haben andere Aufgaben erhalten.

Zum großen Leidwesen der Gefangenen sind einige davon jetzt als Teilanstaltsleiter tätig.

Das sehe ich anders. Es ist eben so, daß ich die Beamten angemessen weiterbeschäftigen muß. Sie wissen genau, welchen Ärger ich im Fall des abgelösten Sicherheitsbeauftragten mit dem Verwaltungsgericht hatte.

Die Gefangenen klagen über die schlechte Gesundheitsversorgung. Wurde die Koalitionsvereinbarung „Angliederung an die städtischen Einrichtungen“ in Angriff genommen?

Da möchte ich einfach noch keine konkrete Anwort geben, weil über diese Frage noch nachgedacht wird. Aber die Behauptung der Gefangenen, daß das Sanitätspersonal unzureichend ausgebildet ist, weisen wir zurück.

Die Gefangenen schimpfen über die schlechten und überteuerten Einkaufsmöglichkeiten. Wann wird hier Abhilfe geschafft?

Diese Klage ist bei allen Anstaltsbesuchen an mich herangetragen worden. Wir werden uns dieser Sache annehmen, aber ich kann Ihnen jetzt noch nicht sagen wie.

Berlin steht bei der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung im Vergleich zum Bundesgebiet fast an letzter Stelle. Wie lange soll diese Rechtsungleichheit noch andauern?

Diese Frage habe nicht ich, sondern die Strafvollstreckungskammern zu entscheiden. Ich habe grundsätzlich die richterliche Unabhängigkeit zu respektieren. Ich habe aber einige Richterinnen und Richter dieser Kammern zu mir eingeladen, um mit ihnen diese Divergenz zwischen den bundesrepublikanischen und den Berliner Zahlen und die dazu vorliegenden Forschungsberichte zu besprechen. Unabhängig davon habe ich mir überlegt, ob man nicht für die RichterInnen und Staatsanwälte so eine Art 'Reader's Digest‘ zusammenstellen sollte, in dem man sie in kurzer und verständlicher Weise über ihr Arbeitsgebiet betreffende rechtssoziologische Forschungen unterrichtet.

Interview: Plutonia Plarre