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Gegen die Flurbereinigung der Sinne

■ Auf einem Aktionsseminar in Darmstadt diskutierten Technikgruppen über die Datenautobahn ISDN und Computervernetzung Wenn das Telefonnetz zum flächendeckenden Computernetz wird / Fazit des Treffens: „Wir müssen uns sozial vernetzen!“

Darmstadt (taz) - Welche gesellschaftlichen Folgen hat die rasante elektronische Vernetzung, und wie kann der Widerstand dagegen entfacht werden? Dies waren die zentralen Fragen, die am Wochenende auf einem Aktionsseminar in Darmstadt erstmals in einem Initiativkreis diskutiert wurden.

Nachdem nun überall in Betrieben und Verwaltungen Computer stehen, läuft seit einigen Jahren die zweite Phase der Computerisierung: Die Vernetzung der Computer-„Inseln“. Ob dies nun der Automobilzulieferer ist, der den Takt seiner Produktion vom Großkunden per Netz „just-in-time“ vorgegeben bekommt, oder die Vernetzung der Rentenversicherungsträger, Arbeitsämter und Krankenkassen im Zusammenhang mit der Einführung des Sozialversicherungsausweises: kaum ein Anwendungsbereich, in dem nicht elektronisch vernetzt wird. Die Infrastruktur dafür wird zur Zeit von der Post aufgerüstet. Sie heißt ISDN (Integrated Services Digital Network). Mit diesem „Dienste-integrierten, digitalen Netz“ wird das Telefonnetz zum flächendeckenden Computernetz. Durch die Digitalisierung von Übertragung und Vermittlung im bislang weitgehend analogen Telefonnetz wird es nun computerfähig gemacht, ohne daß neue Leitungen verkabelt werden müssen. Was sich Post und Hersteller dabei erhoffen, wird von den KritikerInnen befürchtet: die Entwicklung zu einer Computer- und Telekommunikationsgesellschaft, also die Verlagerung von immer größeren Teilen gesellschaftlichen Lebens (Arbeit, Freizeit, Bildung, Kommunikation) auf die Netze und ihre Endgeräte. Im Brennpunkt der Kritik standen auf dem Darmstädter Treffen die Rationalisierung im Arbeitsleben, Überwachungsrisiken sowie die Folgen für die psychische und soziale Existenz.

Bloß: Was tun? Unter der Überschrift „Computernetze Flurbereinigung der Sinne und Modernisierung der Herrschaft

-gefragt sind Phantasie und Widerstand“ wurde in diversen Arbeitsgruppen versucht, Ansätze für Aktion und Aufklärung aufzuspüren. Vorgeschlagen wurden „Besuche“ bei den digitalen Ortsvermittlungsstellen, die speichern, wer wen wann anruft. Unter dem Motto „Nach der Volkszählung die Kommunikationszählung?“ sollen gezielt ehemalige VoBo -Gruppen aktiviert werden. Vielerorts seien in den Stadtverwaltungen bereits jetzt ISDN-Telefoncomputer installiert und damit einige ISDN-Risiken vorweggenommen worden. Wegen der Greifbarkeit derartiger Anlagen böten sich hier konkrete Anknüpfungsmöglichkeiten für Aufklärung und Aktionen. Einig waren sich die über 50 TeilnehmerInnen aus ehemaligen VoBo-Initiativen, Computergruppen sowie KommunalpolitikerInnen und kritische TechnikerInnen in der Ablehnung von ISDN. Kontroversen entzündeten sich dagegen an der Frage, ob TechnikkritikerInnen die elektronischen Netze selbst nutzen sollten bzw. dürfen.

Im Frühsommer will man sich wieder bundesweit treffen. Bis dahin sollen Rundbriefe verschickt und in den verschiedenen Regionen Arbeitskreise gebildet werden. Es gelte, dem Austausch praktischer Aktionstips sowie der notwendigen Diskussion einen Rahmen zu geben. Fazit der Initiativen gegen ISDN und Computervernetzung: „Wir müssen uns sozial vernetzen!“

Dirk Bethe

Tagungsprotokoll und Infos: TelekommunikAKTION, c/o Contraste, Postfach 104520, 6900 Heidelberg 1.

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