Möllemann - der Retter der StudentInnen

■ Bafög-Novelle des Bildungsministers gestern vom Kabinett verabschiedet / Die neue Fifty-Fifty-Finanzierung greift ab Herbst 1990 / Das Ziel der Bafög-Bildungspolitik wurde verfehlt: In der Bundesrepublik studieren gegenwärtig nur acht von 100 Arbeiterkindern

Bonn (ap/taz) - Ab Herbst 1990 sollen StudentInnen bis zu 890 Mark Bafög monatlich vom Staat erhalten, die sie nicht mehr in voller Höhe, sondern zur Hälfte zurückzahlen müssen. Das sieht die von Bundesbildungsminister Möllemann vorgelegte Bafög-Novelle vor, die das Kabinett in Bonn am Mittwoch billigte. Außerdem sollen die Einkommensgrenzen, bis zu denen die Unterstützung gezahlt wird, erhöht werden.

Möllemann sagte, durch die Novelle steige die Zahl der Schüler und Studenten, die Bafög-Geld erhalten, um etwa 30 Prozent: von derzeit 328.000 auf 428.000 Geförderte. Dies koste den Staat im Jahr 1991 rund drei Milliarden Mark, also 650 Millionen Mark mehr. Der Entwurf im einzelnen:

-Die Hälfte des Bafögs wird künftig als Zuschuß gewährt.

-Die Bedarfssätze werden um drei Prozent angehoben.

-Eine Familie mit einem auswärts studierenden Kind darf bis zu 6.200 Mark brutto (bislang 4.800) verdienen, damit noch Anspruch auf Bafög besteht.

-StudentInnen, die nicht innerhalb der Förderungshöchstdauer ihr Examen abschließen können, bekommen unter bestimmten Bedingungen zwei Semester länger Geld.

-Der Krankenversicherungszuschlag wird von 45 auf 65 Mark angehoben.

-Kindererziehung soll bei der Förderungsdauer berücksichtigt werden.

-Wenn behinderte Studenten länger studieren, erhalten sie nach Ablauf der Förderungshöchstdauer Bafög zu 100 Prozent als Zuschuß.

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz trat im Oktober 1971 in Kraft und wurde seitdem mehrfach - je nach Klientelpolitik und Kassenstand - geändert. Ursprüngliches Ziel war es, Studenten und Schülern aus sozial schwachen Familien Studium und Ausbildung zu ermöglichen. Seit 1983 hat die CDU/FDP-Koalition Bafög nur noch als Darlehen gezahlt und die Schülerförderung fast total eingestellt.

Dieser Bafög-Kahlschlag zählte zu den umstrittensten Entscheidungen der Wende-Regierung. Die Zahl der Bafög -Empfänger war aber schon durch die von der SPD begonnene Höchstgrenzen-Politik gesunken. 1972 erhielten mehr als die Hälfte der Studenten Bafög, gegenwärtig nur noch ein Fünftel. Auch das Ziel des Bafögs wurde verfehlt: Den Bafög -Schuldenberg am Ende einer Hochschulausbildung vor Augen (bis zu 50.000 Mark) verzichteten zunehmend Abiturienten aus einkommensschwachen Familien auf ein Studium. Nach jüngsten Erhebungen besuchen heute nur acht von 100 Arbeiterkindern eine Hochschule, dagegen 49 von 100 Beamtenkindern.

Als insgesamt unzureichend lehnen die Grünen die Novelle von Möllemann ab. Zur Erhöhung der Bedarfssätze, die die tatsächlichen Kosten abdeckten, sei die Regierung nicht in der Lage gewesen, kritisierte der Abgeordnete Dietrich Wetzel die Bafög-Änderung. Außerdem werde für Absolventen des Zweiten Bildungsweges die Elternunabhängige Förderung in unzulässiger Weise eingeschränkt.