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Leere Taschen

■ Die OstberlinerInnen sind skeptisch: Wann kommen die Pässe - und woher die Devisen fürs Reisen?

Glücklich, wer jetzt schon seinen Paß in der Tasche hat. Denn ab 1. Dezember wird wohl das große Schlangestehen losgehen. Auf diesen Stichtag für den Beginn der Reisefreiheit hat sich die DDR-Bürokratie eingestellt. Doch die OstberlinerInnen sind skeptisch: „Krenz will sich mit einem Weihnachtsgeschenk erstmal Luft verschaffen.“ Daß das alles so schnell funktionieren kann, glaubt von den Bescherten kaum jemand.

„Die können ja noch nicht mal die Auflagen der Zeitungen erhöhen, obwohl die immer schon morgens um halb sechs ausverkauft sind - woher sollen sie denn das Papier für die Millionen Pässe nehmen?“ Im Westfernsehen hat man schließlich verfolgt, daß es selbst dort „ein halbes Jahr gedauert hat, bis die Bundesdruckerei die neuen Pässe fertig hatte“. Immerhin hat die DDR-Regierung die Paßausgabe schon dezentralisiert: Statt der Kreise sollen sich künftig die lokalen Polizei-Meldestellen dem Ansturm der Anträge stellen.

Mit ihrer Eile beim Reisegesetz hat sich die Regierung unter Zugzwang gesetzt. „Das ist so“, verdeutlicht jemand, „als wenn sie die Reichsbahn aufmöbeln wollen und erstmal eine Lokomotive anschaffen: Die ist relativ billig, aber von alleine fährt sie ja nicht. Das Teure daran sind doch die Geleise und Oberleitungen - und um die hat sich noch keiner gekümmert.“

Tatsächlich ist das Papier für die Pässe das geringste Problem - verglichen mit der Frage, wer zu Weihnachten die nötigen West-Mark beschafft. Daß die DDR aus dem Erlös des Zwangsumtausches für Bundesbürger nicht eine müde Mark bereitstellen kann, weil längst alles als Deviseneinnahme im Staatshaushalt verplant ist, weiß in Ost-Berlin jeder: „Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen.“ Und der Grund für die Devisenknappheit ist auch klar. Schließlich hat der Berliner SED-Bezirkschef Günter Schabowski öffentlich zugegeben, daß in den wichtigen Exportbereichen eine DDR-Mark nur noch 15 Westpfennige einbringt.

Eine Ostberliner Ärztin kann sich immerhin vorstellen, daß die stolzen Paßbesitzer ihre DDR-Mark zu einem Kurs umtauschen können, zu dem ihr Krankenhaus kürzlich ein neues Ultraschallgerät im Westen erstanden hat: Für das 170.000 DM teure Stück mußte der Zentralbank das Vierfache in DDR-Mark hingeblättert werden. „Das würden die Leute gerade noch akzeptieren“, meint ein DDR-Journalist, „aber wenn sie den jetzigen Schwarzmarktkurs von 1:10 zahlen sollen, dann könnte gerade bei den Arbeitern leicht die Volksseele überkochen. Das kann sich die Führung im Moment nicht leisten.“

Tobias Lehmann

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