: AUS'M GHETTO
■ The Ex aus Holland im K.O.B.
Kurz nach den Berlin Independence Days, wo sich die versammelte (hauptsächlich deutsche) Indie-Szene traf, um Strategien auszuarbeiten, wie man endlich den finanziellen und vertriebstechnischen Anschluß an die Major-Labels schaffen und dabei noch independent bleiben könnte, kommt eine Band nach Berlin, die mit alter Trotzigkeit und ohne dabei lächerlich zu werden, die längst begrabenen Ideale von vor zehn Jahren hochhält.
The Ex sind entstanden während der Punk- und Hausbesetzerzeit und immer noch tief verwurzelt in dieser Szene. Sie propagieren offensiv Selbstbestimmung in allen Bereichen, arbeiten hauptsächlich mit selbstverwalteten Radios, Studios, Vertrieben und Veranstaltern in Holland zusammen und lassen Plattenfirmen rechts liegen. Ihre Platten entstehen vom ersten Ton bis hin zur Covergestaltung in völliger Eigenregie. Da The Ex ihre Musik als aufklärende Propaganda verstehen, sind ihre Platten nicht einfach ein Stück plattgepreßtes Vinyl in einer Papphülle, sondern mit haufenweise Material versehen. Keine Veröffentlichung, bei der die englisch gesungenen Texte nicht abgedruckt wären und das herkömmliche Lyricsheet zum Booklet erweitert ist, in dem zum Beispiel der Freiheitskampf der Indianer in den USA, die politische Dimension der Olympischen Spiele oder Zensur im Musikgeschäft behandelt werden. Ihr Lieblingsthema ist der Spanische Bürgerkrieg, dem sie mit der Doppel-Single „The Spanish Revolution“ ein nicht nur musikalisch eindrucksvolles Denkmal setzten. Zwischen den beiden Singles befand sich ein Booklet mit mehr als 100 Fotos vom Bürgerkrieg, die teilweise noch nicht vorher veröffentlicht waren, und angenehm kurzen Texten zur Geschichte des Krieges. Das Schönste, was ein Autonomer je verbrochen hat. Manchmal bleibt dann sogar noch Platz, das Covermotiv einer LP im Cassettenformat zum Ausschneiden abzudrucken, denn „Home-taping still saves money“ in Anspielung auf eine riesige Werbekampagne der Industrie vor ein paar Jahren: „Home-taping is killing music“. Trotzdem bleiben die Preise ihrer Platten weit unter denen anderer, ob sie nun independent oder von den großen Firmen hergestellt sind. The Ex wissen, daß ihre potentiellen Käufer wenig Geld haben, also leben sie selbst gleich von Sozialhilfe.
Musikalisch haben sich The Ex von Ur-Punks, die auf die Bühne sprangen, weil alle es taten und jeder es konnte, zu Lärmsymphonikern entwickelt, die vielleicht zu oft mit Sonic Youth verglichen werden, aber an vielen Vergleichen ist etwas dran. Kein Herz, kein Schmerz in ihren Texten, jeder Ton ein Angriff auf das System, jedes Wort Aufklärung. Moralisierend, ohne moralinsauer zu werden, einfach nur klar logisch analysierend.
Natürlich bleiben sie mit ihrem Anspruch, absolut independent zu bleiben, in ihrem selbstgewählten Ghetto stecken. Aber das scheint heute innerhalb der Musik der einzige verbliebene Weg zu sein, nicht korrumpiert zu werden.
Thomas Winkler
The Ex heute abend ab 22 Uhr zusammen mit Arch Bishop Kebap aus Schottland im K.O.B.
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