: Weltmarkt oder ökologische Wende
■ Ein telefonisches Statement Rudolf Bahros zu Alfred Herrhausens Visionen einer 'schnellen Lösung‘: Die DDR wird geschluckt
Man muß Alfred Herrhausen für die arrogante Wahrhaftigkeit dankbar sein, mit der er sich im 'Spiegel‘ geäußert hat. Es wäre noch viel besser gewesen, wenn dies im Kennzeichen D des ZDF in Szene gesetzt worden wäre, damit das Volk der DDR ihn auch richtig hätte sehen können. Das sollte nachgeholt werden. Man sollte sich über die „Natürlichkeit“ dieser menschlichen, politischen und kapitalistischen Grundposition im klaren sein, keine Zeit der Empörung darüber verlieren. Wer nicht will, daß es so kommt, der soll über Wege nachdenken, so mit der DDR umzugehen, daß sie - so weit es denn an uns liegt - nicht gefressen werden kann.
Im übrigen hängt es von der Bewußtheit der DDR-Bevölkerung selbst ab, ob die DDR - in welcher Form auch immer - hier her kommt oder wohin sie sonst geht. Die Entscheidung fällt im Kampf um den neuen Konsens in der DDR. Ota Sik, der seine Rolle im Prager Frühling schon lange hinter sich hat, gab neulich in einer Zeitung zum besten, daß ohne westliches Kapital im Osten und speziell in der DDR überhaupt nichts mehr läuft. All diejenigen Menschen in der DDR, die das auch glauben, garantieren die Wiedervereinigung a la Herrhausen. So weit sich die Menschen in der DDR ebenso abhängig vom Einfluß westlichen Kapitals jetzt selbst sehen, ist eine solche Wiedervereinigung a la Herrhausen sicher. Das heißt nicht, daß es verboten ist, irgendeine DM von hier zu nehmen.
Der Wiederaufbau der Wirtschaft in der DDR aber ist prinzipiell ohne westliches Kapital möglich. Man muß dazu nur wissen, daß das Leben des Volkes am wenigsten von den Sektoren abhängt, auf die es das Kapital ganz besonders abgesehen hat. Der Mensch braucht kein Auto. Ausschlaggebend wird sein, ob in dem innenpolitischen Prozeß der DDR eine Übereinstimmung darüber erzielt werden kann, daß wir den Wettlauf um die Normative des kapitalistischen wissenschaftlich-technischen Fortschritts aufgeben müssen. Mit einer sozialistischen Autofabrik ist Mercedes nicht zu schlagen. Was wir aber in der DDR in den nächsten Jahren machen können, ist eine allmähliche Verkleinerung des großindustriellen Sektors und die Lenkung aller für Innovation bestimmten Investitionen in einen Sektor, der unmittelbar auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung gerichtet ist und mit kleinen Strukturen arbeitet. Dabei geht es ganz besonders um die Regeneration der Landwirtschaft, um eine Alternative zu ihrer verhängnisvollen Industrialisierung in der DDR. Dort könnten auch die Menschen, die bei der Rationalisierung des verbleibenden großindustriellen Sektors freigesetzt werden, nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch neue, auch kulturelle Lebensperspektiven finden.
Ich glaube, für diese Kehre in der DDR könnten wir auch Kapital ohne Kapitalismus ins Land hineinbekommen. Die psychologische Schwierigkeit besteht derzeit darin, daß die Wissenschaftler, Techniker und Ökonomen in der DDR verführt sind, die bisherige Unfähigkeit der DDR-Wirtschaft, mit der westdeutschen zu konkurrieren, auf die Mißwirtschaft der Partei und auf den bürokratischen Zentralismus zurückführen. In Wirklichkeit ist das nur die zuoberst liegende Schicht des Problems.
Wer jetzt in der DDR beweisen möchte, daß „wir nicht schlechter sind als Daimler“, wird das Land in einen von vornherein verlorenen Konkurrenzkampf führen, in dem das Feld vorherbestimmt ist durch die Gesetze, die die Fusion in Stuttgart regieren. Es ist jetzt in der DDR der nächstliegende Irrtum, sich neu der Konkurrenz auf dem Weltmarkt stellen zu wollen, während doch klar sein könnte, daß die Logik des Weltmarkts, ökologisch gesehen, die Logik der Selbstausrottung ist. Ohne ein Projekt der ökologischen Wende ist die DDR an den Westen verloren.
Der Autor des 1978 veröffentlichten Buches „Die Alternative“ will nach zehn Jahren am Wochenende in die DDR zurückkehren.
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