: Moderne Life-style-Artisten
■ Von der „Massenware Student“: Die komplizierte Beziehung zwischen Gebrauchswert, Tauschwert, Persönlichkeitsfaktor und Marktwert / „Dabei sein ist alles, natürlich immer freundlich und fleißig“
Eine neue Theorie zieht Studentenkreise. Kurse und Seminare darüber gibt es nicht, Anschläge siehst du nicht, alle aber spüren den psychologischen Schlag ins Kontor, und moderne Life-style-Artisten wissen Bescheid - der Mensch ist die neu kreierte Ware! Der Modenarr verkauft sich ganz zwanglos, fern von jeder Ideologie, einfach selbst an das Land der unerlösten Seelen. Stellen wir uns einen Bilderbuchmenschen vor, nennen ihn Guido und folgen einer Personenbeschreibung.
Gebrauchswert: Guido, allseits beliebter Lebemann und Freizeit-Revolutionär, hat die Grenzen der Philosophie erkannt. Sein Gedankenfluß über ethische Normen kam irgendwie ins Stocken, als er mit Herzschmerz erkannte, daß die unersättliche Welt auf einem anderen Drahtseil balanciert. Im Märchenland war kein Platz für Don Quichotte. Geschlagen kehrte Guido in die intakte Welt des Mutterschoßes zurück. Schlimmer hat ihn schließlich Mama mit nervenden Geldfragen von seinen anachronistischen Idealen der Jugend geheilt.
Tauschwert: Schlechte Erfahrungen haben Guido mehr gelehrt als alle professorale Weisheit. „Universitäres Wissen ist altklug. Wer richtig nachfragt, stürzt sich in die größte Krise seines Lebens, aber ich bin ja nicht kurzsichtig. Auf dem Personalmarkt mußt du in Mode sein, sonst nützt dir alles Wissen nichts. Du mußt dich eben verkaufen können.“ Reale und ideelle Welt haben doppelte Böden. Galant rechtfertigt er sich mit einem philosophischen Relikt: „Wahre Worte erscheinen immer widersinnig, doch sind sie durch keine andere Lehrweise zu ersetzen, sagt Laotse.“ Guido hofft, daß niemand so genau hinhört.
Persönlichkeitsfaktor: Guido baut auf diesen Faktor. „Ein bißchen was können mußt du schon, is‘ eh klar, aber der Rest ist Show, Werbung, die richtigen Leute kennen, Dabeisein ist alles, natürlich immer freundlich, fleißig, manchmal ein Schuß eigene Meinung. Dann bringst du dich an den Mann“, und wieder ist da dieses herablassende Lächeln, „oder an die Frau, wenn es unbedingt sein muß.“
Seitdem Guido die Marktwerttheorie verstanden hat, ist er ein neuer Mensch. Sein Lebenslauf kann ein Lied davon singen, den hat er nämlich erstmal renoviert. Alle Lücken, die auf der Suche nach dem Selbst entstanden waren, hat er getilgt. Ein entfernter Verwandter in Übersee war so freundlich, die Reise in die Vergangenheit durch ein paar Unterschriften möglich zu machen. Interessante Praktika sind wunderbar. Und nicht nur dabei blieb es. Sein neuer look ist hip und sein outfit in. Gekonnt trägt er lässiges Selbstbewußtsein als make up, und nicht nur, wenn er in der Volkshochschule sein Englisch trainiert. Seine Spontaneität vermißt er allerdings schon ein bißchen. Vor ein paar Tagen hat die Umstellung nochmal wehgetan. Im Beisein seiner Eltern hat er dem jüngeren Bruder, der das Studium für ein Jahr unterbrechen und über den Sinn des Lebens nachdenken will, erklärt: „Für die Philosophie hast du auch noch mit Sechzig Zeit.“ Papa hat ihm später wohlwollend auf die Schulter geklopft - es werde eben doch jeder erwachsen. Das war schon komisch, denkt Guido.
Ralf Knüfer
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