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„Bunkermentalität führte zu Realitätsverlust“

■ Der Vorsitzende der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, Hans-Joachim Ehrig, hat der Justizsenatorin am Mittwoch weitere Argumente zur Auflösung der P-Abteilung und Statistiken über Hausbesetzer- und Krawall-Prozesse vorgetragen

Justizsenatorin Limbach wird in Kürze entscheiden, ob die Politische Abteilung der Staatsanwaltschaft aufgelöst oder nur umverteilt wird. Deshalb werden von ihr noch einmal die betroffenen Berufsgruppen angehört. Am Mittwoch war die Vereinigung der Berliner Strafverteidiger an der Reihe.

taz: Was haben Sie der Senatorin als Vorsitzender der Strafverteidiger-Vereinigung vorgetragen?

Hajo Ehrig: Wir haben zunächst begrüßt, daß diese unselige P -Abteilung endlich aufgelöst werden soll, weil sie über Jahrzehnte hinweg Skandal an Skandal wie Perlen an einer Schnur aufgereiht hat. Wir sind der Meinung, daß es die Struktur dieser Abteilung ist, die zu diesen schlimmen Ergebnissen geführt hat, und nicht die einzelnen Personen.

Die Generalstaatsanwälte, Staats- und Amtsanwälte wehren sich mit Händen und Fäusten gegen die Auflösung der P -Abteilung. Haben Sie den Eindruck, daß sich die Justizsenatorin diesem Druck beugt?

Frau Limbach hat uns eingangs berichtet, daß ihr auf der Personalversammlung der Staatsanwälte eine derart feindselige Stimmung entgegengeschlagen ist - fast bis hin zur Verdächtiung der Strafvereitelung -, wie sie es woanders noch nicht erlebt hat. Ich denke, daß es auf die guten Argumente ankommen wird und da haben wir einiges vorgetragen.

Was da wäre?

Unsere Hauptkritikpunkte an der P-Abteilung sind, daß durch eine Wagenburg- oder Bunkermentalität innerhalb dieser geschlossenen Gruppe ein gewisser Realitätsverlust eingetreten ist. Das heißt, daß bei den Strafanträgen der Vergleich mit der sonstigen Kriminalität verloren gegangen ist und gerade bei Demonstrationsereignissen vielen Festgenommenen über ihre individuell nachweisbare Schuld hinaus das Gesamtgeschehen vorgeworfen wurde.

Wie steht die Strafverteidiger - Vereinigung zu dem Plan der Senatorin, die P-Abteilung nicht richtig aufzulösen sondern vier Schwerpunktgruppen - unter anderem für „Gruppengewalt“ - zu bilden?

Die Zusammenfassung einer neuen Spezialisierung für „Gruppengewalt“ ist für uns der Hauptkritikpunkt. Darunter sollen in erster Linie Demonstrationsdelikte fallen. Wir befürchten, daß sich in dieser neuen-alten Spezialgruppe wieder eine „Rumpf-P-Abteilung“ bildet. Außerdem sehen wir die Gefahr, daß sich dort vom Schulboykott über KiTastreiks bis zu Arbeitskämpfen alles wiederfindet, was bisher den politischen Bezug von Strafsachen ausgemacht hat.

Wie hat Frau Limbach auf Ihren Vortrag reagiert?

Sie hat am Ende anklingen lassen, daß sie nachdenklich geworden sei und hat uns gebeten, die von uns erstellten Statistiken über die Hausbesetzerverfahren 1982 und die Kreuzberger Krawalle vom 1. Mai 87 nachzureichen. Diese Statistiken besagen eindeutig, daß die P-Abteilung überzogen agiert hat und erst von den ja nicht spezialisierten Amtsgerichten der Einzelfall ohne die politische Brille angemessen betrachtet wurde. Die P-Abteilung hatte nach dem 1. Mai 1987 in 50 Prozent der Verfahren Haftstrafen ohne Bewährung beantragt, aber nur in drei Prozent der Verfahren kamen Haftstrafen ohne Bewährung heraus. Bei den Hausbesetzerverfahren, die bis 1982 durchgeführt wurden, haben wir eine Freispruchquote von über 30 Prozent, zusätzlich wurden über zwölf Prozent der Verfahren eingestellt.

Trotzdem sieht es jetzt so aus, als ob sich die Senatorin für einen faulen Kompromiß entscheiden wird.

Wir hoffen, daß kein Etikettenschwindel passiert. Eine solche Spezialgruppe für „Gruppengewalt“ würde diese Gefahr bedeuten, insbesondere weil Frau Limbach auch betont hat, daß sie keinerlei Einfluß auf die personelle Besetzung der Spezialgruppen nehmen kann, so daß sich dort möglicherweise die gleichen Staatsanwälte wiederfinden. In diesem Zusammenhang gewinnt es an Bedeutung, daß das neue Konzept in personeller Hinsicht von dem Generalstaatsanwalt umgesetzt werden muß, der ein politischer Wahlbeamter ist. Die Justizverwaltung und die Koalitionsparteien müssen sicherstellen, daß er die justizpolitischen Entscheidungen nicht hintertreibt.

Interview: plu

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