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Programm eines zaghaften Gipfelstürmers

Ursprünglich hatte George Bush gehofft, er könne bei dem Schnuppertreffen auf den Kreuzern vor Malta einfach „die Füße auf den Tisch legen“ und locker losplaudern. Doch dann kamen die Ereignisse in Ostmitteleuropa. Vor kurzem noch wußte kaum ein Amerikaner, wo Malta liegt, und nun soll dort am Wochenende Geschichte geschrieben werden.

George Bush fühlt sich gar nicht wohl dabei. Hatte doch der Perestroika-Mann aus Moskau schon seinen Vorgänger im Weißen Haus bei ähnlicher Gelegenheit schlecht aussehen lassen. Da war die peinliche Ausfragung Reagans durch den damals neuen Kremlchef 1985 in Genf; da war Gorbatschows ein Jahr später in Reykjavik beinahe geglückte Anti-Nuklear-Coup; und da gab es die in diesem Frühjahr beim Besuch von Außenminister Baker in Moskau überraschend verkündete einseitige Truppenreduzierung. Kein Wunder, daß der US-Präsident seit Tagen von seinem Beraterstab mit allen Eventualitäten vertraut gemacht wird. Bush soll sich nicht reinlegen lassen, gleichzeitig Kooperationsbereitschaft zeigen und wenn's eben noch geht - den Eindruck von Eigeninitiative erwecken, um nicht auch diesmal wieder von dem Medienmanipulator aus Moskau in den weltpolitischen Schatten gestellt zu werden.

Wie also werden die USA auf die (pseudo?)kapitalistischen Offerten, die (real?)sozialistischen Finten und (post?)imperialistischen Attacken des Michail Sergejewitsch reagieren? Falls der eine dramatische Beschleunigung und Erweiterung der Genfer START-Verhandlungen zur Halbierung des strategischen Waffenarsenals vorschlägt, wird Bush, der in Malta kein Mitglied des START-Verhandlungsteams dabei hat, abwinken.

Eine Absichtserklärung über einen gestrafften Zeitplan für 1990 ja, aber mehr nicht. Ähnliches gilt für die Wiener Verhandlungen über die konventionelle Abrüstung in Europa (CFE): schnell zu Ende bringen und eventuell eine zweite Verhandlungsrunde gleich anschließen.

Sollte Gorbatschow größere Truppenreduzierungen vorschlagen, so hat Verteidigungsminister Cheney bei seiner Nato-Tour in dieser Woche nicht ausgeschlossen, könnten die USA nach Absprache mit den NATO-Partnern auch ohne CFE -Verhandlungen einen bilateralen Rückzug vereinbaren. Auf wenig Interesse bei Bush wird dagegen Gorbatschows zu erwartende Forderung nach Einbeziehung der Seestreitkräfte in die Abrüstungsverhandlungen stoßen. Obwohl die US-Navy ihren Traum auf eine 600-Schiffe-Flotte mittlerweile aus Etat gründen auf 500 reduziert hat, weigern sich die USA weiterhin standhaft, sich ihre Rolle als Geopolizei der Weltmeere durch Abrüstungsvereinbarungen beschneiden zu lassen.

Solch ein Vorschlag geht nicht nur ans immer noch imperiale Selbstverständnis, sondern widerspräche nach Meinung der US -Militärplaner der Strategie, die Streitkräfte für zukünftige Einsätze bei Regionalkonflikten zu flexibilisieren. Zur Reduzierung der Überlegenheit amerikanischer Seestreitkräfte sieht die Bush-Administration weder Anreiz noch Anlaß.

„Begünstigte Handelsbeziehungen“

Größeres Entgegenkommen werden die USA den sowjetischen Vorschlägen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit leisten. Die von den Demokraten im Kongreß geforderte und von Gorbatschow erstrebte Aufnahme „begünstigter Handelsbeziehungen“ könnte vor Malta vorbereitet werden. Eine Absichtserklärung Gorbatschows über eine weitere Liberalisierung der sowjetischen Emigrationspraxis müßte ausreichen, die 1974 mit dem sogenannten „Jackson Vanik Amendment“ verfügten Handelsbeschränkungen gegenüber der Sowjetunion zumindest für eine Probezeit außer Kraft setzen zu lassen. Und auch gegen den von der UdSSR erhofften Beobachterstatus im Rahmen des internatio nalen GATT-Handelsabkommens dürfte George Bush kaum Einwände haben.

Was die deutsche Frage angeht, werden beide Seiten auf ihren unterschiedlichen Positionen bestehen. Für Gorbatschow kommt ein wiedervereinigtes Deutschland in der Nato überhaupt nicht in Frage, während für die USA die Nato -Mitgliedschaft Bedingung eines Neu-Deutschlands ist jedenfalls wenn es nach Außenminister Baker geht. Bei seinem Versuch, eine amerikanische Deutschlandpolitik zu bestimmen, hatte Baker dies am Mittwoch zur Voraussetzung gemacht, nachdem er zwei Sätze vorher noch versichert hatte, die USA dürften keine besondere Form der deutschen Einheit vorschreiben. Gemeinsam dürfte den beiden Supermächten jedoch der Wunsch sein, aus ihren Positionen zur deutschen Frage keinen hinderlichen Konflikt entstehen zu lassen.

Eine Auseinandersetzung suchen wird Bush allerdings, wenn er eines seiner „Hauptanliegen“ auf diesem Gipfel, die sowjetische Rolle in den Regionalkonflikten, zur Sprache bringt. So viele feindliche Mauern und Paläste in Europa auch einstürzen mögen, eine im amerikanischen Hinterhof von El Salvador abgestürzte Cessna mit 24 SAM-7 -Luftabwehrraketen an Bord sorgt in amerikanischen Gemütern immer noch für mehr antikommunistische Aufwallungen als der Zusammenbruch des so verhaßten Gesellschaftssytems hinter der Elbe für Friedensgefühle.

Gorbatschow, so verlangt diese anachronistische wie paranoide Logik, müsse in Mittelamerika, Afghanistan und Kambodscha erst noch beweisen, was er in Europa bereits aus Schwäche praktiziere: den Verzicht auf Einflußnahme. Dabei hätten es die USA selbst in der Hand, diese Konflikte einer friedlichen Lösung näherzubringen: durch einen Stopp der Militärhilfe an El Salvador die Cristiani-Regierung zu Verhandlungen mit der FMLN zu zwingen; durch erhöhten Druck auf die thailändische Regierung deren Unterstützung der Roten Khmer zu beenden; und durch ein Ende der Waffenlieferungen an die afghanischen Mudschaheddin auch in Kabul eine politische Lösung zu forcieren. All dies wird vermutlich auch Gorbatschow dem US-Präsidenten vorschlagen.

Rolf Paasch, London

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