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In Ost-Westfalen tobt der Müll-Krieg

Zwangsentsorgung des Abfalls von Gütersloh im Nachbarkreis / Dort gehen Einwohner gegen den Müll-Import auf die Barrikade  ■  Von Elisabeth Rottmann

Gütersloh (taz) - In Ost-Westfalen ist ein regelrechter Müll -Krieg ausgebrochen. Per Zwangsverfügung durch den Regierungspräsidenten von Detmold wird der Abfall aus dem Kreis Gütersloh seit drei Tagen im Nachbarkreis Minden -Lübbecke entsorgt. Dort blockierte die Bevölkerung der Gemeinde Hille mit 100 Demonstranten mehrere Stunden lang die „unerwünschten Müll-Frachten aus dem Nachbarkreis. Der Kreistag Minden-Lübbecke ist ebenso empört, verabschiedete Protestnoten und rief gemeinsam mit der Gemeinde Hille das Verwaltungsgericht zu Hilfe, um die Zwangsentsorgung rückgängig zu machen. Zugleich wollen wütende Bürger nach Detmold ziehen, um sich dort für das stinkende Weihnachtsgeschenk zu bedanken und dem Regierungspräsidenten eine Ladung „original Gütersloher Müll“ vor dessen Haustüre zu kippen. Die Lage ist explosiv.

Der Gütersloher Oberkreisdirektor Kozlowski hatte zuvor bei Entsorgern im weiten Umkreis angeklopft, um doch noch ein freies Plätzchen und eine „friedliche“ Entsorgung für den Abfall seines Kreises zu finden. Vergeblich. Eifersüchtig werden Deponieräume gehütet. Schließlich zog der Detmolder Regierungspräsident die Notbremse. Über die Köpfe der betroffenen Kreise und Gemeinden hinweg wurde angeordnet, daß der Abfall in die Gemeinde Hille des Nachbarkreises gekarrt wird. Seitdem rollen täglich 40 Müll-Laster über die Kreisgrenze.

Schon seit Jahren hangelt sich die Gütersloher Kreisverwaltung am Rande der Abfall-Katastrophe entlang: Obwohl Presse und Bürgerinitiativen schon lange vor dem Entsorgungs-Engpaß warnten, versuchte die Verwaltung das Problem zu verschleiern. Entstanden war es durch mangelnden Weitblick und eine sorglose Preisgestaltung bei den Müllgebühren. Kreisbaudirektor Friedrich brachte seine Taktik, dem Kreistag jahrelang die bittere Wahrheit nur scheibchenweise zu servieren, inzwischen eine Strafanzeige von erbosten Bürgern ein.

Das Entsorgungskonzept des Kreises stand zunächst auf zwei

-wie man glaubte, sicheren - Füßen: einer alten Kalksteingrube, die der Kreis zu „vermüllen“ gedachte, und mehrere Tongruben einer alten Ziegelei. Das versprach lange sorgenfreie Entsorgungsjahre. Der Kreis und die 13 Kommunalverwaltungen waren stolz, ihren Bürgern diese Deponien anbieten zu können - so billig und so sicher.

Doch dann kam alles ganz anders: Die günstigen Gütersloher Gebühren verleiteten Industrieunternehmen z.B. aus Bielefeld, die von ihren rot-grünen Kommunalpolitikern durch saftige Entsorgungspreise zum recyceln erzogen werden sollten, dazu, mit ihrem Abfall auf Halle und Rietberg auszuweichen. Der Mülltourismus blühte. Und der Deponieraum schrumpfte. Als die Kreisverwaltung endlich gegensteuerte, war es zu spät.

Als man dann noch entdecken mußte, daß weder die Kalk- noch die Tongruben grundwassersicher sind, und der Regierungspräsident für die Deponie Rietberg keine weiteren Genehmigungen erteilte, war der Notstand da. Jetzt müssen beide Deponien nachträglich abgedichtet werden - ein Aufwand von mehr als zehn Millionen Mark. Und um eine Grundwasserverseuchung zu verhindern, fahren seit zwei Jahren vier Tankwagen im ständigen Pendelverkehr Sickerwasser aus den Tongruben in ein Spezialklärwerk. Kosten: jährlich eine Million Mark.

Eine neue Deponie ist zwar geplant, aber für solche Vorhaben muß man heute bis zu zehn Jahre allein für das Verfahren rechnen. Jetzt wartet der Kreis händeringend auf die Sanierung der Kalkgruben. Die aber dauert noch mindestens ein halbes Jahr, und der Erfolg ist fragwürdig. Inzwischen muß exportiert werden, um die Entsorgung für 300.000 Einwohner zu sichern.

Der Kreis hat jetzt alle Gemeinden aufgefordert, die Müllgebühren saftig zu erhöhen - von derzeit 44 Mark pro Tonne Müll auf 117 Mark. Zugleich überbieten sich die Gemeinden gegenseitig in ihrem Eifer, Müllvermeidungskonzepte umzusetzen. Eine späte, zu späte Einsicht.

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