"Er muß mit uns verdammt noch mal diskutieren"

■ Interview mit der stellvertretenden AL-Fraktionsvorsitzenden Renate Künast zu Mompers AL- und Senatorinnen-Schelte/Momper "ein Volkshochschuldirektor, der in väterlicher Weise mit dem...

In einem taz-Interview übte der Regierende Bürgermeister gestern harsche Kritik am Koalitionspartner AL und griff einzelne Senatorinnen persönlich an. Heute, vor der Sondersitzung des Senats zu den drei strittigen Punkten DHM, Stromtrasse und KiTa-Streik, erhält die AL Gelegenheit, zu den Vorwürfen Mompers Stellung zu nehmen.

taz: Was sagt die AL als Koalitionspartner zu dem Vorwurf des Regierenden Bürgermeisters, sie sei noch nicht reif zum Regieren?

Renate Künast: Uns wundert diese Erklärung schon, denn eine gewisse Reife muß man ja auch beim Regierenden Bürgermeister in Frage stellen. Er hat sich selber auf eine nie ausgeschriebene Stelle beworben und auch noch selber drauf gesetzt, nämlich die eines Volkshochschuldirektors, der in väterlicher Weise mit dem kleineren Koalitionspartner umgeht. Wir haben oft das Gefühl, daß er noch nicht ganz verstanden hat, daß es sich bei der AL um eine eigenständige Partei handelt. Wir sind nicht die Jusos, die er entsprechend behandeln kann.

Wann ist denn der Punkt für die AL erreicht, an dem sie aus der Koalition aussteigt?

Man kann die Frage nicht an einem konkreten Punkt festmachen. Nicht von ungefähr hat die MVV am letzten Samstag beschlossen, Anfang des Jahres ein Resumee zu ziehen, um zu überlegen, ob und wie es weitergeht mit der Koalition. Was wir sehr deutlich zum Ausdruck bringen ist, daß wir uns nicht von der SPD in eine Tolerierung hineindrängen lassen - und genau das tut Momper gerade. Das Überstimmen ist eine faktische Tolerierung, und da kann man nur dazu auffordern, uns ein Tolerierungsangebot zu machen. In der AL ist das diskutiert worden, und das wollte Herr Momper nicht. Wenn er will, daß beide Parteien die Verantwortung tragen, dann muß er mit uns, verdammt noch mal, bis zum Ende diskutieren. Wir lassen uns nicht von Herrn Momper und der SPD in eine Ecke drängen, wo es dann heißt, wir seien nicht politikfähig. Ich könnte das auch zurückgeben mit dem Vorwurf, die SPD sei nicht politikfähig im Sinne einer rot-grünen Koalition.

Hat die AL den Eindruck, Momper und die SPD instrumentalisieren die Ost-West-Probleme, um einen Alleingang durchzuziehen?

Man kann so etwas wie einen Höhenrausch konstatieren, der aufgrund des Sauerstoffmangels in der Höhe oft den Blick ein wenig trübt. Ich glaube nicht, daß Herr Momper ernsthaft glaubt - trotz seiner großen Popularität seit dem 9. November -, im Alleingang einen Sieg erringen zu können.

Muß die AL in dieser „historischen Stunde“ nicht zurückstehen?

Diese „historische Stunde“ fordert uns genauso wie vorher, vielleicht sogar noch mehr. Vorher ging es darum, innerhalb der Mauer zum Beispiel ein Energie- oder Nahverkehrskonzept umzusetzen. Und jetzt geht es darum, in der veränderten Situation mit dem dazugekommenen Umland dafür Sorge zu tragen, daß die Koalitionsvereinbarungen nicht inhaltlich gekippt werden.

Die AL zeichnet sich in der Deutschlandpolitik eher durch Konzeptlosigkeit aus und läuft so zwangsläufig Gefahr, an die Wand gedrückt zu werden. Wie soll innerhalb der Koalition aus dieser festgefahrenen Situation ein Weg herausführen, und weche Aufgabe hat die AL dabei?

In der letzten Zeit hat die AL sehr stark die Frage der Staatlichkeit diskutiert, auch als Reaktion auf die Vereinigungsparolen und den großen nationalen Taumel. Bis auf ein, zwei Einmischungsversuche haben wir uns von dem Regierenden auch durchaus vertreten gefühlt. Was die Konzeptlosigkeit angeht, sehe ich gar nicht, wo die SPD da so viel weiter sein soll. Bis auf hochmoralische große Worte kommt da kaum Inhaltliches rüber.

Wäre da nicht auch eine Chance für die AL, diese Inhalte zu füllen?

Im Bereich Ökologie und Wirtschaft ist es natürlich die Aufgabe der AL, jetzt neben der Frage der Staatlichkeit dort einen Schwerpunkt zu setzen. Dazu gibt es bereits diverse Ideen und auch ältere Konzepte. Ich sehe eine große Gefahr, daß wir alle über die Staatlichkeit weiterschwätzen, während sich Bayer oder andere Konzerne drüben schon dick eingekauft haben.

Wie kompromißbereit ist die AL noch bei den Knackpunkten Stromtrasse, DHM und KiTa?

Unser Standpunkt ist jetzt, daß sich die SPD bewegen muß. Durch die jüngsten Äußerungen von Momper hat sich dieser Standpunkt noch gefestigt. Er hat ja aus der Koalition eine Beziehungskiste gemacht und auf der persönliche Ebene geplaudert, was im Ergebnis weit an der Sache vorbeiging. Er hat ganz lapidar gesagt: mit mir nicht. Die SPD muß sich bewegen, das wird deutlich am Beispiel der Stromtrasse, wo sich Momper auf Honecker und Modrow beruft. Da kann man sich doch nur fragen, läuft Herr Momper noch auf den Füßen durchs Rathaus oder auf dem Kopf? Wer ist Honecker, wer ist Modrow? Und was KiTa angeht, da kann ich über den Momper-Vorschlag, daß Frau Klein erst mal bei sich selbst umschichten solle, auch nur lachen. Da hätte sie im Sommer hellseherische Fähigkeiten haben müssen. Beim Museum habe ich langsam das Gefühl, daß die SPD da ein Paket schnüren will, denn eigentlich war der Standort Spreebogen ja schon gestorben. Ich glaube, die wollen nach dem Motto verfahren, der große Partner gewinnt bei den Punkten KiTa und Trasse, und der kleine kriegt das Museum dahin, wo er's will.

Was passiert denn, wenn die SPD nicht nachgibt?

Dann kann man nur sagen, frohes Fest!

Heißt das, daß die Koalitionsfrage noch vor Weihnachten gestellt wird?

Entscheidungen sind bei unserer Struktur einer MVV vorbehalten. Die SPD muß wissen, daß sie so mit uns nicht umgehen kann und in einer extrem belasteten Situation nicht noch eins drauf satteln kann. Ich war nicht so sehr überrascht von dem Tonfall, den kennen wir intern sehr gut.

Werden innerhalb der AL personelle Konsequenzen erwogen?

Wir machen jetzt erst mal Sachpolitik. Und der andere Punkt ist der, daß man genauso schnoddrig zurückgeben kann: „So tief will ich mich gar nicht bücken, um mich auf diese Ebene zu begeben.“

Interview: Kordula Doerfler/ Hans-Hermann Kott