piwik no script img

Gelähmte DKP schwächt Arbeiterbewegung

Hessens DKP laufen die Mitglieder davon / Unterschiedliche Entwicklung in den Regionen / Von „historischem Optimismus“ bis zur Selbstauflösung reicht die Palette / Wer, wenn nicht mehr die DKP, erkämpft, bitteschön, die 35-Stunden-Woche?  ■  Von Michael Blum

Frankfurt (taz) - Rudi Hechler, Jahrgang 1934, ist Vorsitzender der DKP im Stadtparlament der Startbahn -Gemeinde Mörfelden-Walldorf. Wie viele seiner GenossInnen ist er erschüttert über die Ereignisse in der DDR, über Arroganz und Korruption der alten Machthaber. Der Umbruch, der Utopieverlust werden sich, fürchtet er, auf die ganze europäische Linke auswirken: „Ob der Sozialismus noch zu retten ist, weiß ich nicht - doch daß er notwendig ist, das weiß ich.“

Die Stadtfarbe ist in Mörfelden-Walldorf traditionell Rot: 1918 wurde in Mörfelden die KPD gegründet, „und schon 1931 stand mit Georg Zwilling der erste KPD-Bürgermeister im Deutschen Reich an der Spitze der Kommune“, gerät Hechler ins Schwärmen. Ein Jahr später marschierten Polizisten in das damals 5.000 Seelen zählende Mörfelden ein: In den Märztagen 1932 wird ein Aufstand der Mörfelder gegen die sozialen Mißstände niedergeschlagen. Es fallen Schüsse, das verbarrikadierte Rathaus wird gestürmt. Mörfelden ist in jenen Märztagen im Belagerungszustand. Überwachungen, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. Im roten Rathaus regiert der Staatskommissar.

Und wieder ist es ein Märztag, diesmal der 5. anno 1933, „an dem es Nacht wird über Mörfelden“: Viele Kommunisten werden von den Nazis verhaftet. Allein sechzig bis siebzig Mörfelder, fast der gesamte Ortsverein der KPD, werden ins Konzentrationslager Osthofen bei Worms gebracht. Dachau, Buchenwald und Gestapo-Gefängnisse sind Etappen des Leidenswegs anderer „Roter“ aus dem damals beschaulichen Dorf zwischen Darmstadt und Frankfurt. Mit 14 Jahren tritt der junge Rudi Hechler in die SDAJ ein, drei Jahre später wird die Jugendorganisation in der Bundesrepublik verboten. Der Arbeiter tritt, gerade zwanzig, 1954 in die KPD ein. Zwei Jahre später dann das KPD-Verbot. „Über Tarnlisten haben wir weitergearbeitet.“ Allenthalben Verfolgung und Hausdurchsuchungen: „1967 die bislang letzte.“ Im gleichen Jahr zogen die Mörfelder Kommunisten ins Gemeindeparlament ein. „Die erste Ortsgruppe der DKP in der Bundesrepublik haben wir hier gegründet - nämlich schon 1968.“ Die Parlamentsgeschichte der DKP ist die einer Oppositionspartei. Mit wechselndem Erfolg. 1985 flogen die Kommunisten aus dem Parlament: Eine Quittung der Wählergemeinde für die Zustimmung zum SPD-Haushaltsplan. Im März des Jahres 1989 gelingt mit über sechzehn Prozent der Stimmen in Mörfelden der Wiedereinzug. In der Gesamtgemeinde Mörfelden-Walldorf - sie wurde 1977 im Zuge der Gebietsreform zusammengelegt - reichen über zehn Prozent der Kommunalstimmen für fünf Mandate.

Ein angestrebtes „Linksbündnis von SPD, Grüner Liste und Kommunisten scheitert an den Grünen“ - die DKP sitzt wie schon in den Jahren zuvor in der Opposition. Austritte hat der rund achtzig Menschen zählende Ortsverband im Zuge der Entwicklung bislang kaum zu verzeichnen: Erst ein ehemaliger SDAJ-Funktionär räumte das Feld.

„Wenn ich wollte, würden hier schon morgen dreißig Genossen aus der DKP austreten - aber das ist doch keine Lösung“, sinniert Hechler. Die „zentristische hessische Linie“ biete nach wie vor die Möglichkeit, kontroverse Positionen in der Partei zu diskutieren. Dennoch: „Ich wage die Prognose, daß eine Abspaltung kommt, die die Partei lähmen und die bundesdeutsche Arbeiterschaft schwächen wird.“ Die Entwicklung im Ostblock erschüttere das Selbstverständnis der KommunistInnen, es sei ein Utopieverlust allenthalben festzustellen. Sicher: „Es gibt Resignationstendenzen, doch was sind unsere Streitereien gegenüber den Problemen in den sozialistischen Ländern?“ fragt er. Gerade die „deutsche Besoffenheit“ sei ein Grund zur Angst. Die zunehmende Ausländerfeindlichkeit in der DDR macht ihm Sorge. „Das westdeutsche Kapital hat dort und hier einen Sieg errungen“, stellt er verbittert fest. Die Gesamtpartei DKP „muß sich im klaren darüber sein, daß sie mit ihrer Lähmung die westdeutsche Arbeiterbewegung schwächt. Wer soll die 35 -Stunden-Woche erkämpfen und eine dritte Regelschicht in den Autobetrieben verhindern, wenn nicht die kommunistische Arbeiterbewegung?“ Und doch: „Hochachtung vor Honecker habe ich immer noch. Seine Entlassung war nichts anderes als ein Befreiungsschlag.“ Mit „historischem Optimismus“ ist er sich aber auch sicher, daß die DKP die derzeitige Krise übersteht. Allein schon, um „im sozialen Bereich kein Vakuum entstehen zu lassen, in das sonst die Republikaner hineinstoßen“.

Die derzeitige Austrittsbewegung der Reformer hat für ihn auch viel mit „persönlichen Eitelkeiten, die sich hochschaukeln, zu tun“. Ein Beispiel dafür sei Dietzenbach, in der Nähe von Offenbach. Die achtzehn aus der DKP ausgetretenen Dietzenbacher KommunistInnen sehen dies freilich ganz anders, lassen kein gutes Haar am Bundesvorstand der Partei. In der vergangenen Woche sind die Reformkommunisten mit dem ehrenamtlichen Kulturdezernenten Richard Weilmünster und den Fraktionsmitgliedern Georg Klößmann und Renate Etter an der Spitze aus der Partei ausgetreten. Klößmann und Weilmünster, die gemeinsam 1969 den Ortsverein gründeten, sind enttäuscht: „Durch die Handlungsweise der DKP-Bundesführung und ihre Praktiken haben sie die Ideen und Ideale des Sozialismus verraten.“ Macht sei an die Stelle von Wahrheit, Taktik an die von Vertrauen, Stalinismus an die Stelle von Demokratie gerückt. Gerade die Parteiführung habe eine umfassende Erneuerung der Partei blockiert.

Etter und Klößmann wollen die Tradition der Kommunisten seit ihrem Einzug ins Dietzenbacher Rathaus 1972 fortführen. Sie werden sich künftig „Unabhängige Kommunisten“ nennen und als Fraktion die Nachfolge der DKP antreten. Auch werde man im „Linksbündnis“ von SPD, Grünen und bisheriger DKP bleiben. Welchen Weg die letzte DKP-Vertreterin im Stadtparlament einschlägt, ist noch ungewiß.

Die achtzehn Reformer, ob ihres Protests gegen die Biermann -Ausbürgerung und dem Kampf gegen AKWs vor Tschernobyl ohnehin als „Konterrevolutionäre“ verschrieen, wollen weiter für den „Sozialismus von seiner ideellen Ausrichtung her die menschlichste und gerechteste aller möglichen Gesellschaftsformen“ kämpfen. Doch: „Wir sind entschlossen, den Begriff nicht länger durch diese DKP mißbrauchen zu lassen“, erklärt Weilmünster. Er und seine GenossInnen streben deshalb eine Organisation an, die nicht nur diesen „Zielen verpflichtet ist, sondern auch in ihrer inneren Struktur Demokratie und Freiheit praktiziert.“ Für die bei der Kommunalwahl im März 1989 mit 6,8 Prozent erfolgreichen Dietzenbacher wird sich der Weg im Januar 1990 auf dem Strategiekongreß in Hamburg weisen.

Die von den Dietzenbachern konstatierte Austrittswelle hat auch die Universitätsstadt Marburg - seit den siebziger Jahren die intellektuelle Hochburg der DKP-Hessen gebeutelt. Anfang 1988 hatte die DKP hessenweit noch knapp 4.000 Mitglieder - wie viele in Scharen davongelaufen sind, bleibt Parteigeheimnis. Für den Zerfall der DKP in Hessen stehen in Marburg (bislang vier DKP-Stadtverordnete) die drei Parlamentarier Almuth Westecker-Hecker, Joachim Mende und Karen Schönwalder. Die drei ErneuerInnen sind Mitte Dezember ausgetreten. Für sie ist das „Projekt DKP politisch und moralisch gescheitert“. 1977 hatte die Marburger DKP mit 10,3 Prozent der Stimmen ihr bislang bestes Ergebnis, 1989 langte es bei über 17 Prozent grüner Stimmen immerhin noch für knapp 6 Prozent.

Offenbar frei von Zerfallserscheinungen regiert die DKP in Langenselbold mit der SPD vor sich hin. Bei der Kommunalwahl kamen die GenossInnen auf 16 Prozent und stellen den Vizebürgermeister. Nach Insiderinformationen brodelt es aber auch hier „mächtig unter der Decke: Flügelkämpfe sind ausgebrochen“. Ein DKP-Stadtverordneter ist hier ebenso ausgetreten wie in Hessisch-Lichtenau, Ahnatal und Guldensberg. Parlamentarier stellt die Partei derweil außerdem noch in Reinheim, Gersfeld und Neuburg. An die zwanzig hauptamtliche Funktionäre werden in Hessen zum 1. Januar 1990 entlassen. Grund: die drastische Finanzkrise. Parteisekretäre in Frankfurt, Kassel und Marburg halten die Stellung.

Unterdessen laufen die GenossInnen auch in Mainz davon: Am 8. Januar 1990 soll eine Kreismitgliederversammlung den DKP -Kreisverband auflösen und den Mitgliedern den Austritt empfehlen: „Ein Verbleib in der Partei ist moralisch nicht mehr zu vertreten.“ Der Kreisvorsitzende erklärte seinen Rücktritt, seine Stellvertreterin ihren Austritt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen