piwik no script img

Hager und Sindermann üben Selbstkritik

■ Auftritt vor einem Ausschuß der Volkskammer

Berlin (ADN/taz) - Er sei nicht einflußreich gewenug gewesen, die Verfolgung Robert Havemanns zu verhindern, behauptete Kurt Hager am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuß der Volkskammer. Der „wissenschaftliche Meinungsstreit“ (Hager) zwischen dem ehemaligen Politbüromitglied und Chefideologen und dem Systemkritiker Robert Havemann hatte zu dessen Ausschluß aus der SED, dem Verlust seines Lehrstuhls und massiven Repressalien seitens der Stasi geführt.

Auch sonst gab sich Hager bei seiner Anhörung vor dem „Ausschuß zur Überprüfung von Fällen des Amtsmißbrauchs und der persönlichen Bereicherung“ eher bescheiden: Er fühle große Schuld, erklärte er und übernehme die Verantwortung für alles, was schief gelaufen sei. Hager unterstanden in seiner Funktion die Bereiche Kultur, Volksbildung, Gesundheitswesen und Wissenschaften sowie die Akademie für Gesellschaftswissenschaften, die Parteihochschule, das Institut für Marxismus-Leninismus und der Dietz-Verlag.

Eine „gewisse Engherzigkeit“ schrieb er den Entscheidungen zu, die aufgrund seines Wirkens zu Beschränkungen für Schriftsteller und Künstler geführt hätten. Die Ausweisung von Wolf Biermann müsse auf die „damalige bürokratisch -administrative Verhaltensweise“ zurückgeführt werden. Er halte diese Entscheidung heute für falsch. Als größten Fehler der Parteiführung nach 1985 bezeichnete Hager die „Überheblichkeit der Sowjetunion“, das Versäumnis, zu prüfen, was in der politischen Struktur der DDR im Hinblick auf einen langsamen Wandel zu mehr Mitwirkung der Bürger zu ändern gewesen wäre.

Mit Zorn und Empörung reagierten die Volkskammerabgeordneten auf die Ausführungen ihres ehemaligen Präsidenten Horst Sindermann. Besonders die Tatsache, daß der Termin für die nach der Wende geforderte Einberufung der Volkskammer vom SED-Politbüro von ihm „nicht bestätigt“ worden war, löste heftige Kritik aus.

Sindermann: „Ich war mir damals der Tragweite dieser Entscheidung nicht bewußt.“ Erstaunen löste bei den Abgeordneten aus, daß die Familie Sindermann mit ihren Kindern in den vergangenen beiden Jahren jeweils für etwa 200.000 Mark im Wandlitzer Spezialladen eingekauft und davon etwa 80 Prozent für Lebensmittel aufgewandt hatten. Sindermann äußerte diesbezüglich Selbstkritik.

Der Ausschuß gab bekannt, daß es für die in U-Haft sitzende Politprominenz keine Bevorzugungen gebe. Die Untersuchungshäftlinge Erich Mielke, Günter Mittag, Werner Krolikowski, Gerald Götting, Harry Tisch und weitere seien einzeln in „normgerecht ausgestatteten Zellen“ untergebracht.

ant

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen