Verfassungsschutz deckte Lummer

■ Ehemaliger Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz sagte gestern aus / Natusch hielt Lummer zu keiner Zeit für erpreßbar Die Ermittlungen wurden aus Angst vor einem politischen Skandal nicht eingeleitet / Für Weizsäcker kein dringender Entscheidungsbedarf

Neue Details in der unendlichen Geschichte um den ehemaligen Innensenator Lummer wurden gestern bekannt: Im Abgeordnetenhaus tagte zum siebten Mal der im Herbst eingesetzte Untersuchungsausschuß, der einen von Lummers ehemaligen Untergebenen, den ehemaligen Chef des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz Franz Natusch, einer ausführlichen Befragung unterzog. Im Mittelpunkt stand die Frage, wann Natusch von den Kontakten Lummers zum Ministerium für Staatssicherheit erfahren hatte und was er daraufhin unternehmen konnte und tatsächlich unternahm.

Man erinnere sich: Im Herbst letzten Jahres war durch eine 'Spiege'l-Enthüllung bekannt geworden, daß Lummer seit Mitte der siebziger Jahre intime Beziehungen zu einer Agentin des MfS unterhielt, die ihn „abzuschöpfen“ versuchte. Lummer wußte spätestens seit 1981 über die Spionage-Intention seiner Ost-Freundin Susanne Rau Bescheid, als ein weiterer DDR-Agent auf ihn angesetzt wurde, der der hiesigen Spionageabwehr bekannt war. Lummer, zu dieser Zeit Präsident des Abgeordnetenhauses, meldete erst fünf Monate später Natusch seine Ost-Kontakte, die sich keineswegs auf Frau Rau beschränkten. In diesem ersten Gespräch verschwieg Lummer sein ost-westliches Liebesleben ebenso wie die Tatsache, daß er über seine Ost-Kontakte bereits im Jahr 1975 den Bundesnachrichtendienst ins Bild gesetzt hatte. In einer weiteren 'Spiegel'-Geschichte wurde die Vermutung geäußert, daß Lummer möglicherweise auch für den BND gearbeitet hat. Der Ex-Innensenator machte bei seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuß am 15.12.89 für all diese Vorgänge seine Schweigepflicht geltend: Er sei durch eine Bundesbehörde förmlich zum Schweigen verurteilt.

Natusch widersprach dieser Darstellung Lummers gestern: In der Regel sei es üblich, so Natusch, vom BND Hinweise auf eine nötige Zurückhaltung zu erhalten, wenn dort operative Interessen bestünden. Im Falle Lummer sei trotz einer Anfrage in Pullach keinerlei Hinweis auf derartige Interessen ergangen. Nachdem er von den Kontakten Lummers zu Frau Rau erfahren habe, unterrichtete Lummer den damaligen Regierenden Bürgermeister von Weizsäcker, gab Natusch an. Für ihn selbst habe zu dieser Zeit die Frage bestanden, ob im Fall Lummer ein strafrechtliches Verfahren gegen die MfS -Agenten eingeleitet werden sollte. Diese Frage habe er in einem Gespräch mit dem Regierenden klären wollen, der jedoch das Gespräch abgebrochen habe. Für Weizsäcker habe offensichtlich kein dringender Entscheidungsbedarf vorgelegen. Natusch wollte nicht ausschließen, daß Lummer eine verharmlosende Darstellung der Vorgänge gegeben habe.

Berlins oberster Verfassungsschützer a.D. betonte mehrmals, daß für ihn zu keiner Zeit der Verdacht einer nachrichtendienstlichen Verstrickung Lummers bestanden habe: „Eine Erpreßbarkeit Lummers durch sein Verhältnis zu Frau Rau lag meiner Meinung nach nie vor.“ Er bedauerte aber, daß Lummer erst relativ spät zu ihm gekommen sei. „Ich hätte es begrüßt, wäre er früher gekommen.“ Gegen eine strafrechtliche Ermittlung habe die Tatsache gesprochen, daß Lummer in seiner Funktion als dritthöchster Repräsentant des Landes Berlin - er war zu dieser Zeit Bürgermeister - in derartige Ermittlungen hätte verwickelt werden müssen.

Nach dem Eindruck Natuschs hat Weizsäcker seinen Amtsnachfolger Diepgen über die ganze Angelegenheit nicht informiert, dieser habe vielmehr erst durch ein Gespräch mit Natusch Kenntnis von der Affäre seines Innensenators erhalten. Wie aus den Aussagen Natuschs deutlich wurde, scheute das LfV vor Ermittlungen zurück, weil dort ein Skandal befürchtet wurde. Man hätte dann gegen seinen eigenen Dienstherren ermitteln müssen. Möglicherweise hätte die Einleitung eines Strafverfahrens dazu geführt, daß Lummer schon zu diesem Zeitpunkt von seinem Amt hätte suspendiert werden müssen. So stolperte er erst über das Bekanntwerden seiner Verbindungen zu rechtsradikalen Kreisen.

kd