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Kommunisten ohne Telefon - ratlos

■ Ehemalige DKP'lerInnen auf der Suche nach einer „Anlaufstelle für die Linke“

„Unsere Partei ist nicht mehr, die DFU gibts nicht mehr, unser Buchladen ist geplatzt, und die VVN ist auch in einer ganz, ganz schwierigen Lage. Ich bin heute eigentlich nur gekommen, um mit einer Telefonnummer wieder nach Hause zu gehen.“ Bremens KommunistInnen haben keine Heimat mehr. Die ideologische Heimat „Marxismus/Lenismus“ ist in der Krise, die geographische Heimat des real-existierenden Sozialismus in Auflösung begriffen und das Bremer DKP-Büro in der Contrescarpe ist auch gekündigt. Aufgehört, KommunstInnen zu sein, haben sie aber nicht. Ihre Sätze fangen immer noch an mit „Wir Kommunistinnen und Kommunisten...“ und hören häufig auf mit “... wie der Genosse Gysi kürzlich betont hat.“

Rund 250 KommunistInnen, ehemalige und Noch-gerade DKP -Mitglieder, und ein einziger Grüner als interessierter Gast, waren am Samstag im Konsul-Hackfeld-Haus - dem ersten kollektiven Wiedersehen nach der faktischen Selbstauflösung

-auf der Suche nach einer neuen

Heimat. Und, wie unter Kommmunisten schon immer guter Brauch, begann die Suche mit einem Grundsatzreferat zur Einschätzung des Kräfteverhältnisses zwischen Sozialismus und Imperialismus, führte von dort zu einer chemisch -politischen Analyse des DKP-Büromülls mit „skandalösem Befund“ (komplette Genossen-Adresskarteien und haufenweise „unökologischen Plastikmüll“ wollte ein empörter Teilnehmer bei einer nächtlichen Inspektion des Müllcontainers im DKP -Büro entdeckt haben), und endete - und das ist neu - in allgemein unausgesprochener Zustimmung zu einer Kampagne der deutschen Bundespost: „Ruf doch mal an“. Dazwischen fegte ein kleines Mädchen - wahrscheinlich ohne sich der insgeheimen Symbolik ihrer Art, sich die Langeweile zu vertreiben, bewußt zu sein, mit einem Kinderbesen zwischen den GenossInnenbeinen. Kehraus.

Jede(r) wollte mal angerufen werden. Einer, um das Maizelt nicht allein vorbereiten zu müssen, einer, damit in diesem Jahr

der Ostermarsch nicht ausfallen muß, einer, um den Tarifkampf der IG-Metall zu unterstützen, einer, um eine „marxistische Woche zur Krise des Marximus“ zu organisieren und eine einfach, um nicht plötzlich ganz alleine mit ihren politischen Selbstzweifeln zu bleiben. Nur vier Wochen nach der Auflösung der DKP stellt sich Bremens KommunistInnen erneut die „Organisationsfrage“. Nur die Antwort wußte selbst Bremens EX-DKP-Vorsitzender Dieter Gautier nicht: „Ich glaube inzwischen nicht mehr, daß wir über neue Stukturen entscheiden können, bevor wir die programmatischen Fragen ausdiskutiert haben.“ Gautiers Interimsvorschlag für eine „Anlaufstelle der Linken“: Ein fester Treffpunkt, zweimal wöchentlich, jeweils von 18 bis 22 Uhr in der Villa Ichon, und natürlich möglichst „breit“.

Denn, darüber waren sich die meisten einig, es gibt auch ohne DKP viel zu tun für „die Linke“. Mehr und anderes z.B. als die Grünen tun, die „uns wenig Grund zur Hoffnung geben und

sich vor allem in inneren Querelen aufreiben“, wie die ehemals 2. DKP-Bezirksvorsizende, Heidi Knake-Werner, diagnostizierte. Hauptaufgabe: Dem allgemeinen „Rechtsruck“ Einhalt zu gebieten: „Durch den Zerfallsprozeß des sozialistischen Blocks, z.T. der sozialistischen Länder selbst, hat sich das Kräfteverhältnis zugunsten des Imperialismus verschoben“, bilanzierte Knake-Werner die letzten Wochen und Monate. Die Einführung der Marktwirtschaft in der DDR sei anscheinend schon „beschlossene Sache“, und selbst die SED-PDS verzichte unter dem Genossen Gysi leider vollständig auf „Kapitalismus -Kritik“.

Eine Rostocker Journalistin, die sich die ersten Gehversuche von Bremens KommunistInnen nach dem ihrer Partei ansah, kurz bevor sie vorzeitig ging: „Ja, solche Diskussionen kenne ich gut. So wurde bei uns früher auch geredet. Hier und heute immer noch? Ich bin die ganze Zeit unsicher, ob die ernst meinen, was sie sagen, oder ob alles nur ironisch gemeint ist.“

K.S.

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