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Marktwirtschaft in der DDR

■ Abkehr von der Planwirtschaft und marktwirtschaftliche Reformmaßahmen angekündigt / Reges Kooperationsinteresse des ausländischen Kapitals mit den Rosinen des DDR-Kuchens

Berlin (dpa/ap/taz) - Von der DDR-Regierung wurde am Wochenende zum Aufbruch in die Marktwirtschaft geblasen. Vor hochrangigen Politikern und Wirtschaftskapitänen der Bundesrepublik sowie Generaldirektoren und Politikern der DDR entwarf Wirtschaftsministerin Christel Luft in den Räumen des neuen Instituts für Unternehmensführung ein Bild der neuen DDR. Ihren Vorstellungen zufolge, die auch von Ministerpräsident Modrow anläßlich eines Treffens mit Daimler-Chef Edzard Reuter geteilt werden, soll möglichst rasch mit dem bisherigen Typus der zentralen Kommandowirtschaft gebrochen werden: „Es geht uns dabei um eine Marktwirtschaft, die ökonomisch effizient gestaltet wird und sich als international wettbewerbsfähig erweist, die sozialen und ökologischen Erfordernissen gleichermaßen Rechnung trägt und zu ständiger Erneuerung findet.“ Um im Zuge des Übergangsprozesses zu einer solchen Form von Marktwirtschaft die sozialen Umstellungskosten steuern und regulieren zu können und gesellschaftliche Verarmungstendenzen wie im polnischen Fall zu vermeiden, wurde der Aufbau eines „gerechten Sozialsystems“ angekündigt. Zu dem von der Ministerin aufgezählten Maßnahmenkatalog gehören ferner die Entflechtung unwirtschaftlicher Kombinate, die Einführung eines Konkursrechtes sowie die Neuordnung des Bankensystems. Längerfristig werde schließlich auch die volle Konvertibilität der DDR-Mark angestrebt.

Die bundesdeutschen Wirtschaftsvertreter werden diese Botschaft mit Genugtuung vernommen haben. Um so mehr, als bereits am Freitag die DDR-Volkskammer einer Verfassungsänderung zugestimmt hat, wonach in begründeten Ausnahmefällen, die nach dem Kriterium des außenwirtschaftlichen Interesses der DDR bewertet werden, Abweichungen vom Primat des Volkseigentums zulässig sind. Insbesondere für kleine und mittlere Betriebe sollen danach zukünftig Beteiligungen ausländischen Kapitals an DDR -Unternehmen von mehr als 49 Prozent zulässig sein. Teilnehmer der deutsch-deutschen Wirtschaftskonferenz äußerten bereits die Erwartung, daß mittelfristig die heute noch geplante Ausnahme zum Regelfall und nach den Wahlen am 6. Mai der 49-Prozent-Rahmen für ausländische Beteiligungen ohnehin revidiert werden wird.

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Tyll Necker, ist bereits damit beschäftigt, aus einer solchen Regelung herrührende Ängste vor einem Ausverkauf der DDR herunterzuspielen. In einer gemeinsam mit Wolfgang Schnur, Vorsitzender des Demokratischen Aufbruchs formulierten Presseerklärung wurde mitgeteilt, daß ausländische Kapitalbeteiligungen die DDR-Wirtschaft stabilisierten und ökonomisch stärkten und ein wichtiges Element des zu erwartenden wirtschaftlichen Aufschwungs seien. Nichtsdestotrotz sind die angekündigten Maßnahmen für Necker nicht mehr als ein erster Schritt in die richtige Richtung, der keineswegs ausreichend sei: „Die DDR muß die Produktivität der Freiheit entdecken, sonst wird die Abwanderung weitergehen.“ Zwar wurde von Necker ausdrücklich darauf verwiesen, daß es bei dem Umbau der DDR-Wirtschaft nicht um eine Kopie des bundesdeutschen Modells gehe, doch er ließ keinen Zweifel daran, daß er die alte Losung „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“ durch die Parole „Von der Bundesrepublik lernen heißt Wohlstand erreichen“ ersetzt wissen will.

Wirtschaftsexperten aus Ost und West rechnen für die nächste Zukunft mit einer Fülle von Anträgen für Unternehmensbeteiligungen, bei denen Westkapital die Mehrheit haben soll. Die bislang bekanntgewordenen Kooperationsprojekte machen allerdings deutlich, daß die bundesdeutsche Industrie nicht etwa aus sozialpolitischen Motiven aktiv werden wird. Herausgepickt werden nämlich allein die ökonomischen Rosinen, während der größere Teil der DDR-Unternehmen seinem Schicksal überlassen werden soll. So haben etwa das bundesdeutsche Unternehmen ANT Nachrichtentechnik und der Computerhersteller Hewlett -Packard mit dem VEB Robotron, einem der Vorzeigekombinate der DDR, Kontakte über eine mögliche Zusammenarbeit in den Bereichen Richtfunktechnik und Computer-Vertrieb aufgenommen. Der international im Bereich Regelungstechnik führende Informatikkonzern Honeywell beabsichtigt mit dem DDR-Außenhandelsbetrieb Industrieanlagen-Import die Gründung einer gemeinschaftlichen Handelsgesellschaft, um vermehrt Hochtechnologien in die DDR-Wirtschaft einzuführen. Der Standort DDR wird von der Konzernleitung aber auch zum Ausbau der Handelsstellung im gesamten osteuropäischen Raum genutzt werden. Aus der Abteilung Medizintechnik von Siemens wurde die Absicht einer langfristigen Zusammenarbeit mit DDR -Unternehmen bekannt. Eine auf fünf Jahre laufende Vereinbarung sieht vor, daß zunächst Bauteile in ein Röhren und Transformatorenwerk der DDR geliefert und dort zusammengebaut werden sollen. In diesem Reigen darf selbstredend auch Mercedes Benz nicht fehlen. Erste Gespräche mit dem in Ludwigsfelde ansässigen IFA-Kombinat über eine mögliche Kooperation auf dem Sektor der LKW -Herstellung wurden bereits geführt.

Kurt Zausel

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