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Gedanken an Tod und Schokotorte

■ Boris Becker läßt trotz Steffi Grafs Rat im zweiten 'Sports'-Interview das Philosophieren nicht

Berlin (taz) - Steffi Graf ist nett. Sie lacht gern und sagt liebe Sachen, über diesen und jene, über Gott und die Welt: Alles suuuper. Doch jetzt hat die Nr.1 aus Brühl dem großen Kollegen aus Leimen einen verbalen Volley vor den Latz geknallt: „Boris versucht derzeit zu philosophieren. Das kann er mit 50 machen. Aber nicht in seinem Alter.“

Was die sonst so harmoniesüchtige Graf etwas heftig werden läßt, liegt vier Wochen zurück. Rechtzeitig zum Davis-Cup hatte da Boris Becker mit einem Interview in 'Sports‘ für Aufregung gesorgt: Deutschland, nein danke warf er den Wiedervereinigern ebenso wie den Tennisnationalisten ins Gesicht, und die ob ihres Lumpenjournalismus gescholtene 'Bild‘ heulte getroffen auf - „Boris, warum lügst du“. Längst kann sich das Blatt wieder freuen. An Steffi Graf zum Beispiel. Wenn die nämlich in Melbourne bei den Australian Open nach getaner Arbeit ins Hotelzimmer zurückkehrt, wartet dort „ein faustdicker Stein“ ('Bild‘): “'Aus der Berliner Mauer‘, sagt sie voller Stolz.“

Becker indes hat es faustdick hinter den Ohren. Hamburger Hafenstraße? Die Kämpfe dort hat er „mit Schmunzeln verfolgt“. Einfach weil er glaubt, „daß ich mit diesen Leuten etwas gemeinsam habe - mehr als mit vielen in meiner Welt“. Weshalb er beim nächsten Davis-Cup möglicherweise ein paar Tickets locker macht, damit die Totenkopffahnen nicht immer nur bei St. Pauli wehen. Und wenn dann die Kamera dorthin schwenkt, wo sonst Roberto Blanco abonniert ist, gröhlen Bierdosen zischend bunte Irokesen und recken die gestreckten Mittelfinger gen Hallendach? Und was erst, wenn der blonde Recke sich bei der nächsten Hausbesetzerdemo unter die Schwarzjacken mischt und mit der starken rechten den Stein mit leichtem Spin... Schöne Aussichten werden da eröffnet in einem zweiten Gesprächsteil, das ab morgen an den Kiosken verkauft wird. Tenor: Junger Mann hat die Faxen dicke und sucht nach dem Sinn des Lebens. Weil ihn mittlerweile selbst die Großkopferten enttäuschen: „Auch in den teuren Hotels drehen Erwachsene völlig durch, wenn sie mich sehen - gestandene Wirtschaftsbosse, Manager, eigentlich Leute, die ein bißchen mehr draufhaben müßten.“ Und weil ihn die „One-night-stands“ nicht mehr befriedigen: „Dann wacht man am nächsten Morgen auf und wundert sich: Mensch, wie konnte ich nur irgendwas mit dieser fremden Frau neben mir machen.“

Der große Wandel. Gestern noch hat Becker dem Papst werbeträchtig einen Puma-Schläger überreicht, heute ließt er Im Namen Gottes, „ein Buch, das sich sehr kritisch mit dem Vatikan auseinandersetzt und dessen Verbindungen zur Mafia aufzeigt“. Gestern noch hätte ihn ein Autogramm von Richard von Weizsäcker selig gemacht, heute schmökert er den Baader-Meinhof-Komplex: „Das fand ich ungeheuer faszinierend.“

Gedanken von einem 22jährigen Sportler, der, wie er glaubt, an einem Punkt angekommen ist, „den die meisten in ihrem Leben nie erreichen“: Wimbledon gewonnen, den Davis-Cup, Flushing Meadow. Und jedesmal danach „tief deprimiert. Tagelang irre ich dann durch die Wohnung und sehe keinen Sinn mehr im Weitermachen. Das sind Alpträume.“ Muß da einer nicht auf die Idee kommen, es sei „ja nicht so schlimm, wenn ich jetzt sterbe. Manchmal denke ich auch, ich habe schon zuviel erlebt. Jedenfalls kann ich sagen, daß ich keine Angst vor dem Tod habe.“ Sehen wir da James Dean mit dem Auto zur Schlucht rasen?

Noch nicht. Weil er spielerisch den Zenit erreichen will: „Aber dazu fehlen mir noch ein paar Dinger - nur für mich selber. Ich glaube einfach, daß ich mich noch verbessern kann.“ Deshalb steht er jetzt in Melbourne auf dem Platz und zeigt, was Tennis ist: „Das ist der Urkampf - Mann gegen Mann. Wir haben zwar keine Waffen, sondern Schläger und Bälle, und die setzen wir ein wie Waffen. Da stehen sich zwei gegenüber, ein Showdown wie im Western, das Ende ist offen, die Zeit ist offen: Einer verläßt als Sieger das Feld, nur einer kommt, sozusagen, lebend heraus.“

Und wenn ihm dann ein Linkmichel wie John McEnroe beim Duell gegenübersteht, der alle Tricks aus der Psychokiste packt, dann sagt er ihm „Okay, du Sau, jetzt geht's los“. Dazu braucht er gar nicht den Mund aufzumachen: „Ich habe ihn das mit den Augen wissen lassen. Er hat es genau gespürt. Und es ist das Wahnsinnige, daß dieser Kampf so abläuft, in den Köpfen. Es macht mir manchmal angst.“

Die wird Steffi Graf auch kriegen, wenn sie das lesen muß. Soviel Geist, soviel Philosophie des Lebens. Doch Hoffnung ist vorhanden: „Und wenn dein Kopf dir sagt, eine Schokoladentorte muß her, dann muß die Schokoladentorte her.“ Boris ist halt nicht nur Kopf, sondern auch Bauch.

Thömmes

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