: EG ist sich über DDR-Beitritt nicht einig
Auf einer Sondersitzung in Dublin diskutierten die EG-Außenminister am Samstag über Osteuropa / Soforthilfe für Rumänien und Polen / Irische Regierung hofft auf Prestigegewinn durch die EG-Präsidentschaft ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Die Außenminister der EG konnten sich auf ihrer Sondersitzung am Samstag in Dublin nicht darüber einigen, unter welchen Bedingungen der DDR ein EG-Beitritt ermöglicht werden soll. Das informelle Treffen im eigens dafür renovierten Dubliner Schloß war auf Wunsch des EG -Kommissionsvorsitzenden Jacques Delors vorverlegt worden, um die Entwicklungen in Osteuropa zu diskutieren. Delors hatte am vergangenen Mittwoch vor dem Europaparlament in Straßburg zwar betont, daß der EG-Beitritt osteuropäischer Staaten verfrüht sei, die DDR sei jedoch ein Sonderfall. Er wiederholte in Dublin, daß die DDR aufgenommen werden sollte, wenn sie einen entsprechenden Antrag stelle. Auch Italien und Spanien unterstützten Bundesaußenminister Genschers Vorschlag, die DDR noch vor 1993 in die EG zu integrieren. Dagegen warnte vor allem der niederländische Außenminister Hans van den Broek davor, der DDR eine Sonderstellung zuzugestehen. Dies sei gefährlich. Der irische Außenminister Gerard Collins, der seit Anfang des Jahres Präsident des EG-Ministerrats ist, schlug vor, die Mai-Wahlen in der DDR abzuwarten. Vor einer Aufnahme müsse sich die DDR zur offenen Marktwirtschaft und zur Einhaltung der Menschenrechte bekennen sowie eine pluralistische Demokratie schaffen. Die Außenminister beauftragten die EG -Kommission mit dem Entwurf von Assoziationsverträgen mit den Ländern Osteuropas. Dabei dürfen diese Länder jedoch nicht als Einheit betrachtet werden, sondern die Verträge sollen sich individuellen Bedürfnissen anpassen.
Außerdem erklärten die Außenminister ihre Unterstützung für den Plan der Kommission, Rumänien und Polen eine sofortige Lebensmittelhilfe in Höhe von fast 140 Millionen Mark zu gewähren.
Der Antrag Frankreichs und der Bundesrepublik, noch in diesem Jahr ein Gipfeltreffen der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) einzuberufen, fand in Dublin einhellige Zustimmung. Zwar war dieses Treffen erst für 1992 geplant, jedoch haben sich Bush und Gorbatschow bereits für eine Vorverlegung ausgesprochen. Auf diesem Sondergipfel, der in Paris stattfinden soll, könnte auf der Grundlage der Neuordnung Europas ein europäischer Friedensvertrag angestrebt werden.
Das Treffen der Außenminister war das erste große Ereignis in Dublin, seit Irland Anfang des Jahres die EG -Präsidentschaft übernommen hat. Die irische Regierung ist entschlossen, größtmögliches Kapital aus der sechsmonatigen Präsidentschaft herauszuschlagen. Die Koalition aus „Fianna Fail“ und den erzkonservativen „Progressiven Demokraten“ erwartet, daß die gesamte Nation während dieses halben Jahres an einem Strang zieht, um einen Prestigeerfolg für die grüne Insel zu gewährleisten. Öffentliche Kritik der Opposition und der Medien gilt nahezu als Landesverrat. Die hochangesehenen Pressestellen des Außenministeriums in Brüssel, Straßburg und Dublin, die in der Vergangenheit angeblich nicht immer die Parteilinie vertreten haben, sind für die Zeit der irischen EG- Präsidentschaft ausgeschaltet worden. Die Regierung hat ihnen eine Mini-Bürokratie vor die Nase gesetzt, die direkt Premierminister Haughey untersteht. Das Verhältnis der Beamten des Außenministeriums zu Fianna Fail hat sich wegen dieser Brüskierung deutlich verschlechtert. Haughey hofft, daß ihm der Medienrummel um die EG-Präsidentschaft auch innenpolitischen Erfolg bescheren möge. Sein Wunsch nach innenpolitischer Harmonie wurde jedoch bereits enttäuscht. Der Vorsitzende des EG -Ministerrats Collins hat vergangene Woche die beschleunigte europäische Integration sowie soziale und Umweltfragen als seine Hauptaufgaben umrissen. Er wurde von der irischen Opposition sogleich der Heuchelei beschuldigt, weil Irland gleichzeitig gegen verschiedene Aspekte der Sozialcharta und der Umweltdirektiven opponiert habe. Es wird den neuen regierungstreuen Pressestellen schwerfallen, diesen Widerspruch zu verschleiern.
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