: „Sport ist nicht härter als das Leben“
Erkenntnisse eines selbständigen Athleten: Thomas Müller, Olympiasieger in der Nordischen Kombination ■ Von Eberhard Frohnmeyer
Tübingen (taz) - Den Medien galt er jahrelang als der „große Schweiger“. Und die Funktionäre nörgelten, er sei „ein unsicherer Kandidat, sensibel und schwierig“. Thomas Müller, der 1988 in Calgary als Schlußläufer der bundesdeutschen Mannschaft die Goldmedaille in der Nordischen Kombination sicherte, paßte noch nie in die Schublade der unbekümmerten, handzahmen Schanzen- und Loipenhasardeure.
Vor wenigen Wochen zum Beispiel, als Bundestrainer Hartmut Döpp ohne Rücksprache mit den Athleten in die Wüste geschickt wurde, las der 28jährige Student den Funktionären des Deutschen Skiverbandes (DSV) erstmals öffentlich die Leviten.
Zwischen Mensa-Eintopf und nächster Trainingseinheit stellt er im Seminarraum des Tübinger Sportinstituts nicht nur selbstherrliche Funktionäre in den Senkel, sondern gibt auch Statements zu Ökologie und Wiedervereinigung zu Protokoll, die im Rahmen sonstiger Sportlersprüche das Etikett „unbequem“ verdienen.
Die Medien bekommen ebenfalls ihr Fett ab. „Alle Welt wundert sich jetzt über Boris Becker. Nanu, Sportler haben ja auch was im Kopf, heißt es überall. Und dann fragt man uns stundenlang zu verwachsten Ski und mieser Landung. Im 'Aktuellen Sportstudio‘ kam ich mir immer vor wie ein Depp.“
Ein „klares Pro und Contra“ ist dem Studenten im 10. Semester allemal lieber, als „wenn alle nicken und nur Banales von sich geben. Da reden sie immer vom mündigen Athleten, und wenn's drauf ankommt, werden wir übergangen“, beschwert er sich. Besonders perfide findet Müller die Begründung von DSV-Sportdirektor Helmut Weinbuch für die selbstherrliche Entscheidung, Döpp zu kündigen. Er wollte den Athleten „nicht zumuten, gegen ihren Trainer zu stimmen“ und habe sie deshalb erst gar nicht gefragt.
Eine sonderbare Art der Fürsorge
Diese sonderbare Art der Fürsorge war vor einem Jahr schon einmal geplant, als Döpp im nacholympischen Jahr geschaßt werden sollte. „Ich bekam Wind von der Sache und schrieb einen Protest-Eilbrief. Der flatterte mitten in die DSV -Sitzung und verhinderte die Entlassung.“ Der ursprünglich als Assistent Döpps aus der DDR geköderte neue Mann, Klaus Winkler, sei „kein schlechter Trainer, aber ich habe seinen Trainingsplan angeschaut und gesagt, so mache ich das nicht.“ Der gebürtige Aschaffenburger baut lieber weiter auf Döpps Rezept.
Den ersten Knatsch mit dem Verband gab es schon 1979, als Müller „mit leichtem Druck von oben“ in die Sportfördergruppe der Bundeswehr nach Berchtesgaden gesteckt wurde. Das 18jährige Talent wäre lieber im heimischen Oberstdorf geblieben. Nach zwei Jahren sportlich -militärischem Dienst fürs Vaterland hatte er die Nase voll vom Soldatenleben. Der DSV wollte ihn bei der Fahne halten, Müller zog's an die Universität. 1982 schrieb er sich in Freiburg ein und die Funktionäre grollten. Seit 1987 studiert er in Tübingen und will im kommenden Jahr seine akademische Laufbahn als Diplomsportlehrer beenden.
Angst auf dem Schanzentisch
Mit der Nordischen Kombination hat der derzeitige Senior im Weltcup-Skizirkus noch längst nicht abgeschlossen: „Die Mischung aus Springen und Laufen fasziniert mich noch immer.“ Ein „gewisser Respekt, manchmal auch Angst, ist nach wie vor im Spiel, wenn ich über den Schanzentisch fliege“. Mit dem Münchner Entspannungstrainer und Hypnosespezialisten Eckhard Hoffmann arbeitet Müller gerade daran, „im Springen noch brutaler zu werden“ und „Selbstzweifel, die im Alter kommen“, zu verscheuchen.
Als Qual hat er das jahrelange harte Training nie empfunden: „Sport ist nicht härter als das Leben.“ Klar hat er auch mal Lust, sich „ein paar Nächte um die Ohren zu hauen“. Aber: „Das Ziel vor Augen macht alles erträglich“, gibt er Einblick in die Leistungssportlerpsyche. Denn: Bei den Olympischen Spielen 1992 im französischen Albertville will er es den Jungen noch mal zeigen.
Ins Schwärmen gerät Müller, wenn er von der Trainingsmethode erzählt, die ihm zehn Jahre lang Erfolge beschert und einen gesunden Körper bewahrt hat. „Der Kölner Sportmediziner Heinz Liesen hat uns beigebracht, sanft zu trainieren, langsamer zu laufen, damit sich der Körper schneller regenerieren kann. Bei der Vorbereitung zur Olympiade in Calgary haben uns die Langläufer deshalb als Skiwandertruppe belächelt.“
Der „sanfte Weg“ hat es ihm nicht nur im Sport angetan. Als „ökologisch bewußter Mensch“ versucht er, sich beim Training „an die Umweltregeln zu halten“. Ein „wirklich umweltfreundliches Auto“, das er gerne fahren würde, traut er der Industrie nicht zu. „Bevor sich da was Grundsätzliches tut, muß 'ne Rebellion vom Volk her, oder die Politiker müssen was ändern. Aber die tun ja nichts, solange sie geschmiert werden.“
Sorgen macht dem Olympiasieger auch die Wiedervereinigungsdebatte. „Ich bin gegen eine Vereinnahmung durch den Westen“, schwimmt er gegen den Zeitgeist. „Das Volk dort muß entscheiden. Dort haben sich auch die Veränderungen abgespielt, nicht hier. So vorbildlich ist die BRD ja wohl auch nicht, wenn man die Müllberge, die sozialen Probleme und alles sieht.“ Von einem Großdeutschland nach bundesrepublikanischem Vorbild hält Müller jedenfalls nichts. „Eine Art ökologischer Republik“ wäre schon eher nach seinem Geschmack.
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