Goodwill-Tour durch die Schaltzentralen des internationalen Kapitals

Zum Deutschland-Besuch des brasilianischen Staatspräsidenten Collor: Vertrauen schaffen, zugesagtes Geld lockermachen und auf den Sinn für symbolische Gesten hoffen  ■  Aus Rio de Janeiro Frederico Füllgraf

Am morgigen Samstag um 12 Uhr inszeniert der 189 Zentimeter große Bodybuildingfan, Karatekämpfer und frischgewählte brasilianische Staatspräsident Fernando Collor de Mello seine Verabschiedung vom deutschen Boden auf historischem Terrain: Zusammen mit West-Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper läuft Collor zum Brandenburger Tor. Abgesehen von der typischen Sympathiewerbung an den Höfen der internationalen Gläubigerbanken und der fast ein Dutzend Regierungen der nördlichen Hemisphäre, die er in weniger als zwanzig Tagen besucht, hat der Gang zur durchlöcherten Mauer in Berlin eine Signalwirkung für den internen Gebrauch in Brasilien: Collor tritt auf als das, was sich die neue DDR -Regierung noch nicht recht traut: als Verkünder eines in den Weltmarkt neu integrierten Kapitalismus. Seine Verbeugung vor der preußischen Quadriga soll als eine Begrüßung ebenbürtiger Conquistadoren verstanden werden und als Schwur auf jene Marktwirtschaft, die das ideologische Programm seiner vergangenen Wahlkampagne geprägt hat.

In scharfer Abgrenzung zum Präsidentschaftskandidaten der (geschlagenen) Linken, Luis Inacio da Silva, hatte Collor dem „Steinzeitkapitalismus“ in Brasilien, dem innen- wie außenverschuldeten, bürokratisierten, korrupten und von unterbeschäftigten Beamten überbeanspruchten Staat den Kampf angesagt - im Namen eines „neuen, dynamischen“, vagen Kapitalismus. Collor betrat zunächst vergangene Woche US -amerikanischen Boden - als Verkünder einer Aussöhnung des von brasilianischem Protektionismus und US-amerikanischem „Regenwald-Interventionismus“ erschütterten bilateralen Verhältnisses. Und sein Auftritt in Washington beeindruckte Präsident George Bush derart, daß der US-Präsident Collor mit dem Satz empfing: „The past is blowed in the wind, let's look forward.“

Ausgangspunkt für Bushs Zukunftsoptimismus war Collors nationalökonomische Feuertaufe in Anwesenheit von 40 hochkarätigen Wirtschaftsbossen vor der American Society, darunter David Rockefeller, Henry Kissinger und die chairmen James Robinson (American Express), James MacNamara (Texaco), William Rhodes (Chef des Gläubigerbanken -Konsortiums der USA). Zuvor, in New York, hatte Collor in der Präsidentensuite des Waldorf Astoria auch „Schnellempfänge“ für den Chef von General Motors, Roger Smith, und den Union-Carbide-Kontrolleur Robert Kennedy gegeben. Ohne Ausnahme hat Collor allen seinen Gesprächspartnern „ein von Handels- und Industrieprotektionismus befreites Brasilien“ versprochen und im Austausch dafür von Bush einen „Brady-Plan für Brasilien“ - und vom Internationalen Währungsfonds (IWF) finanzielle Unterstützung für sein Wirtschaftsprogramm geschenkt bekommen.

Dramatischer könnte die Lage an der Auslandsschuldenfront nicht sein: Allein das Zinsguthaben der US-Banken ist derzeit drei Milliarden US-Dollar wert und summiert sich im kommenden März auf fünf Milliarden US-Dollar. Brasilien zahlt bereits seit einem halben Jahr nicht mehr und wartet, im Gegenteil, auf neues Geld. Im Juli 1989 schloß die noch bis zum nächsten Monat amtierende Sarney-Regierung einen Vertrag mit den internationalen Gläubigerbanken. Demnach sollten 5,2 Milliarden US-Dollar nach Brasilien fließen. Davon hat Brasilien bisher 4,6 Milliarden erhalten. Die Banker weigern sich jedoch, die übrigen 600 Millionen US -Dollar ohne Vorverhandlungen mit dem IWF und der Weltbank zu überweisen. Die ebenfalls 1989 ausgehandelte Vereinbarung mit dem IWF, dessen Hauptziel die Reduzierung des Haushaltsdefizits war, wurde nicht eingehalten, so daß von den vom IWF versprochenen 1,2 Milliarden US-Dollar lediglich 300 Millionen zähflüssig Brasilien erreichten. Mit der Weltbank wurde eine Investition für die organisatorische Sanierung des brasilianischen Finanzwesens im Wert von einer Milliarde US-Dollar ausgehandelt, doch auch diese Investition blieb aus, weil die Weltbank die Gutschrift von einer Drosselung der Inflation abhängig machte. Doch die betrug im Januar satte 52 Prozent.

Nun hat IWF-Direktor Michel Camdessus dem neuen Präsidenten entschlossene Stützung durch den Fonds versprochen vorausgesetzt, die galoppierende Inflation wird drastisch reduziert. Rezept: Der brasilianische Staat und vor allem die staatseigenen Betriebe müssen abmagern und der staatskapitalistische Sektor soll abgebaut, also privatisiert werden.

Bush zu Collor: „Wenn Sie dies schaffen, verschaffen wir Ihnen einen Brady-Plan, koste es, was es wolle, und dann nennen wir ihn 'Bush-Plan‘.“ Was also in Mexiko nicht funktioniert, soll nun in Brasilien neu erprobt werden: Das Schuldnerland darf auf den Schulden-Sekundärmarkt gehen und dort seine Schuldtitel zu „Rabattpreisen“ zurückkaufen. Darüber hinaus soll der Hauptteil der Schulden zu Niedrigzinsen abgestottert werden, und drittens kann das Schuldnerland auch für den Kauf ausgerechnet der Schuldtiteln optieren, mit der die US-Regierung ihr eigenes Haushaltsdefizit finanziert.

In Tokio imponierte nicht nur Collors Robocop-Karatestil, als er zwischen Treffen mit Bankiers und Industriellen Zeit für ein Training in der Nihon-Akademie fand, sondern vor allem die Ankündigung, seine Regierung werde die bestehenden Kartelle und staatlich protegierten „Industriereservate“ zerschlagen. Collors großer Auftritt war am Sitz des übermächtigen Keidaren-Unternehmerverbandes. Zwar waren die Banker nicht ganz von dem Verbund aus Inflationsbekämpfung und gleichzeitigem Wachstum überzeugt, doch positiv überraschte sie Collors Einladung an die japanische Automobilindutrie, nun auch nach Brasilien zu kommen. Allen voran dürfte Japans zweitgrößter Autokonzern Nissan sehr bald seine Fließbänder in Brasilien starten.

Die Sarney-Regierung hatte bereits einen Kredit von 1,5 Milliarden US-Dollar versprochen bekommen, doch die Banker machten die Überweisung von einem IWF-Gutachten abhängig. Dieses gibt es jetzt, und der Yen darf rollen. Japan ist der zweitgrößte Gläubiger Brasiliens hinter den USA und vor dem „Pariser Klub“ der EG-Banken. Und als spräche er im Namen aller in Brasilien operierenden transnationalen Konzerne, mahnte Komatsu-Chef Ryochi Kawai die energische Bekämpfung der Inflation und einen radikalen Devisenkurs-Ausgleich (sprich: Cruzado-Entwertung) an - „andernfalls bleiben die japanischen Investitionen fern von Brasilien“.

Beim Fast-Abschluß seiner Weltreise sitzt Collor (wie so vielen Politikern und Industriellen Brasiliens) eine bestimmte Angst im Nacken: Die politische Öffnung in den sozialistischen Ländern könnte den Kapital- und Technologietransfer von Nord nach Süd (hier: von der EG nach Brasilien) in empfindlicher Weise umdirigieren. Collor kennt als Unternehmersohn die Kosten-Nutzen-Rechnung: Die DM ist gemessen am gegenwärtigen desolaten Zustand der brasilianischen Wirtschaft - besser in einer DDR, in Polen oder Ungarn aufgehoben. Qualifiziertere und diszipliniertere Arbeitskräfte, höhere Arbeitsproduktivität, vertrauenswürdigere Regierungen - all das sind Konkurrenzvorteile, gegen die sich Collor bei seinen Gesprächen mit bundesdeutschen Wirtschaftsverbänden in Düsseldorf, mit Daimler-Benz in Stuttgart und bei seinen Auftritten mit Präsident von Weizsäcker und Bundeskanzler Kohl in Bonn profilieren muß.

Daimler-Benz hat bereits in Brasilia vorgesprochen und erwartet von Collor Garantien für die Expansion der Konzerninvestitionen in Brasilien, vor allem im Ausbau seiner Lkw-, Bus- und Schwernutzfahrzeugproduktion. Und vielleicht rollen auch bald die luxuriösen Mercedes-Coupes aus heimischer Produktion auf der Avenida Paulista - wer weiß? Die Yuppies aus der Finanz-City Sao Paulo können sie jedenfalls kaum erwarten.

Bonn wiederum wird Anerkennung finden für Collors Gang zum optisch imponierendsten Symbol des Zusammenbruchs des realexistierenden Sozialismus: die wankende Schandmauer zu Berlin. Hofft jedenfalls Collor.