Weniger wäre mehr gewesen

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(Am Amazonas stirbt auch Europa, ZDF, 22.10 Uhr)Beim ersten Mal da tut's noch weh: Brennender Urwald, kreischende Motorsägen, horizontweite Ödnis weggeholzter Flächen. Doch mittlerweile kennen alle diese Bilder, aus Zeitungen, aus Journalen, aus dem Fernsehen. Übersättigung und Hilflosigkeit drohen zur unheilvollen Allianz zu werden mit der Folge, einfach den Kopf in den Sand zu stecken. Deshalb das Thema mal anders. Michael Heuer hat es in seiner Reportage über die graue Eminenz der Tropenwaldschützer, den deutschstämmigen Brasilianer Jose Lutzenberger, versucht. Da mischt einer 17 Jahre lang in der Agrarchemie mit. Aber dann kommt irgendwann der Bruch, genauer gesagt 1970, und der Mann wird zum bekanntesten Anwalt des Urwalds in Amazonien, ja, er erhält 1988 sogar den Alternativen Nobelpreis. Was aber brachte den einstigen BASF-Mitarbeiter dazu, plötzlich so radikal die Seite zu wechseln? Regisseur Michael Heuer sucht die Antwort in Porto Alegre, seinem Geburtsort. Von Kindheit an die Nähe zur Tropenflora und -fauna, ein Miniaturbiotop im Garten seines Hauses die konsequente Fortsetzung davon. Dennoch, die Schnittstelle in Lutzenbergers Leben fehlt.

Heuer versucht Mosaiksteinchen zu einem Porträt zusammenzusetzen: Lutzenberger erläutert sein Alternativprojekt „Gaia“, 30 Hektar Regenwaldgelände, wo er und seine Leute das harmonische Zusammenspiel von Natur, Wohnen und Viehzucht proben. Lange, ruhige Kameraschwenks, Teichspiegelungen im Dämmerlicht, dazu Lutzenbergers Worte über das anthropozentrische Ego der Europäer und seine verwüstende Kraft, die als Tropenholzimporteure und Kapitalgeber für den Erzbergbau den Dschungel restlos auspowern. Oder Ludwigshafen: verkrampft-lockere Wiederbegegnung mit BASF-Kollegen: „Na, er hat ja den Kampfanzug vom Kirchentag an“, so die Krawattenträger über die Jeansjacke des Mannes mit ergrautem Dirigentenschopf.

Aber Heuer versucht noch mehr: Rasante Schnitte zwischen Samba spielenden Brasilianern an Rios Strand, die von „felicidad“, Glück, singen und einem gefällten Baum sollen des Lebens Schizophrenie transparent machen, die mehrmalige Wiederholung der Bilder sich fast pädagogisch dem Zuschauer einprägen. Dadurch geht Zeit verloren. Sämtliche Facetten der Vernichtungsorgie am Amazonas sind in 30 Minuten nicht darstellbar, samt Lutzenberger-Porträt. Durch Beschränkung hätte Heuers Film gewonnen.

Thomas Worm