: Maori ist, wer sich Maori fühlt
Neuseeland feiert sein 150jähriges Bestehen / Die Geburtsurkunde, der „Vertrag von Waitangi“ zwischen den weißen SiedlerInnen und den Maoris, war eine besonders clevere Art der Okkupation / Modell Neuseeland - mit Einschränkungen ■ Aus Aotearoa Bernd Müllender
Ein Land, ein Volk, eine Nation - welch ein Jubel. Ein kleines Haar nur in der Suppe der allgemeinen Begeisterung: Mit wahren Schimpftiraden empfingen zahlreiche Neuseeländer, darunter viele Maoris, ihr Commonwealth-Oberhaupt, Königin Elisabeth II. Wie können sie nur?
Anfang des vergangenen Jahrhunderts hatten Siedler der britischen Krone jenes ferne Aotearoa (das „Land der großen weißen Wolke“) okkupiert, es Neuseeland genannt und am 6. Februar 1840 mit den Maoris den Vertrag von Waitangi geschlossen. Bald schon wurden die vertraglich fixierten Rechte der Ureinwohner beschnitten, ihre Kultur aufgesogen, zerstört, umgenutzt. Aber gestern wurde gefeiert: der 150. Geburtstag von Neuseelands Geburtsurkunde. „Unser Land, unser Jahr“, trällern seit Monaten schon peinlich kitschige Jubelspots durch alle Medien, und zur nationalen Ehre der Ex -Kolonie durften die Kiwis in den vergangenen Tagen die Commonwealth-Spiele abhalten. Neuseeland sei sogar, sagen viele, ein Musterbeispiel für Rassenintegration und friedliche Koexistenz zweier Kulturen. Liberalität und Kooperation statt der arroganten und inhumanen Ausgrenzungspolitik des Nachbarn Australien gegenüber seinen Ureinwohnern, den Aborigines, oder dem Völkermord an den nordamerikanischen Indianern. Ein weiteres Rechtfertigungsargument bekommen die Maoris selbst vorgehalten: Als sie vor Hunderten von Jahren aus den Weiten Polynesiens hier ankamen, haben sie die damaligen Ureinwohner, die Maorioris, brutal abgeschlachtet und verspeist. Da sei die britische Form der Landnahme per Vertrag doch geradezu revolutionär friedlich gewesen.
Vergleichsweise stimmt das sogar. Kolonialisierung per zweiseitigem Vertrag war ein großer Fortschritt, ein neuer, unblutiger Weg. Die Abgesandten der Krone versprachen den unterzeichnenden Stammeshäuptlingen gleiche Rechte, somit gleichen Schutz, vor allem gegen Dritte, wie etwa gegenüber den ebenfalls im Pazifik herumstreunenden Franzosen. Der Preis war das exklusive Recht der Krone, Land und Fischgründe von den Maoris zu erwerben. Aber schon der Übersetzer ins Polynesische feilte nach Gutdünken am Text, weil er selbst Kaufinteressen hatte. Nicht alle Stämme unterzeichneten, die Skeptischen wurden bald so behandelt, als wären sie einverstanden gewesen. Im Zweifelsfall entschied später, als die Weißen längst die Mehrheit hatten, doch die Feuerkraft der Waffen, und wer aufmuckte, wurde zwangsenteignet.
Was ist denn Verkauf?
Darüber hinaus verstanden die Ureinwohner anfangs gar nicht, was Verkauf bedeutete, sie kannten nur Nutzungsrechte, nicht die Unterscheidung zwischen Besitz und dem endgültigen Verlust von Eigentum. Sobald Steuern auf Grund und Boden erhoben wurden, blieb vielen nur der Verkauf. Die stückweise Enteignung funktionierte im Sinne der Krone. Trotzdem waren die Maoris stolz, als 1863 der erste Maori im fernen England geboren wurde und Königin Victoria sich zur Taufpatin erklärte. Fremde Werte bekamen eine hohe Bedeutung, Stück für Stück starb gleichzeitig die eigenständige Maori-Kultur. Man arrangierte sich - erst zwangsweise, dann zwangsläufig.
In diesen Tagen der nationalen Begeisterung haben es die wenigen Kiwi-Linken und Maori-Fundamentalisten schwer, sich Gehör zu verschaffen. Sie riefen zum Boykott der Feiern auf, kündigten Störungen an, übten Kritik: Man könne „Probleme nicht wegreden, indem man eine Party schmeißt“. Aber das neuseeländische Modell ist nicht nach einfachen Schwarz-Weiß -Mustern gestrickt, mit Ausbeutern und Unterdrückten.
Wer ist ein Maori?
Das fängt schon mit der Unterscheidung der Völker an. Längst haben sich die beiden Rassen, ganz anders als etwa in Australien, miteinander vermischt. Reinrassige Maoris gibt es kaum noch, nicht nur ihre Kultur ist assimiliert. Die meisten, die sich heute Maori nennen, sind Halb- oder Viertelmaoris. Die vielen typischen Polynesier vor allem in Auckland sind Gastarbeiter aus Samoa, Tonga, Niue. Maoris sagen heute gerne: Maori ist, wer sich Maori fühlt. Und das ist für Außenstehende natürlich nicht immer leicht nachzuvollziehen.
Winston Peters zum Beispiel fühlt und ist Maori. Aber er ist beileibe kein Kämpfer für Maori-Landrechte, kein Kritiker der weißen Herrschaft, sondern einer der führenden Politiker der konservativen Rechten. Nicht nur er hat bei den weißen „Pakehas“ Karriere gemacht: Der beliebteste Fernseh-Entertainer des Landes ist Maori, seit 1988 gibt es einen katholischen Maori-Bischof, Maori sind auch die besten der gefeierten Rugby-Helden, die gemeinsam mit ihren Pakeha -Teamkollegen den Gegner mit dem „Haka„-Kriegstanz einzuschüchtern versuchen; und überwiegend Maori-Blut hat auch Dame Kiri Te Kanawa, Sopranistin der Extraklasse, die viele Jahre in London sang und bei ihrer Rückkehr im Januar in Auckland von 140.000 (fast nur) weißen Kiwis beim größten klassischen Open-air-Konzert der Welt frenetisch umjubelt wurde. Solche Einzelbeispiele sollen der halben Million Maoris unter den 3,3 Millionen Kiwis zeigen, daß der Weg nach oben offen ist. Das sagen sogar Maoris: Der Vertrag von Waitangi, so jetzt die Maori-Queen Te Atairangiti Kaahu, stelle „den Beginn einer Nation dar, die offen ist für jede Meinung und jede Rasse“.
Die Realität sieht meist anders aus. Maoris sind wesentlich häufiger arbeitslos, durchschnittlich mit deutlich schlechterer Bildung, sie haben größere Alkoholprobleme, sind häufiger im Knast und im Alltag oft diskriminiert. Gleichzeitig findet es die weiße Mittelschicht neuerdings schick, Maori-Vokabular ins gepflegte Gespräch einzubauen, Maori-Rituale nachzumachen, Pakeha-Kinder lernen Maori in der Schule, und Pakeha-Politiker begrüßen sich gern nasereibend, wenn die Fernsehkamera läuft. Die Labour -Regierung will bei den Problemen helfen: den noch intakten Maori-Stämmen mit dem Waitangi-Tribunal, wo alte Landrechte proklamiert werden können (gelegentlich sogar mit Erfolg und Rückgabe), und den einzelnen mit speziellen Arbeitslosenprogrammen, mit Hochschul-Stipendien und Sprachkursen. Doch spätestens da entzweit sich die Gesellschaft wieder: Die weißen Arbeitslosen beklagen die Privilegien der Maoris, Neid ist die Folge, Rassenhaß leicht hörbar in jeder Pakeha-Kneipe.
Denn durch die knallhart kapitalistische Privatisierungspolitik der Labour-Regierung (siehe taz vom 15.5.88) werden auch „down under“ die Reichen reicher, die Armen ärmer, und die neuseeländische Zweidrittel -Gesellschaft teilt sich unten in zwei Sechstel auf: um den Anschluß rivalisierende Maoris und Weiße. Das garantiert zusätzliche soziale Spannungen und Vorurteile zwischen den beiden Rassen.
Immerhin fühlen sich viele Maoris nicht so sehr Maori, als daß sie die 150-Jahr-Spektakel ignorieren oder boykottieren wollten. Aber es genügt ihnen, der Folgen des Vertrages zu gedenken, statt ihn selig zu feiern. Einen Vertrag, durch den sie erst zu ihrem Namen gekommen sind. Denn die Menschen in Aotearoa kannten nur viele verschiedene Stämme und keine staatliche Einheit nach westlichem Muster; sie nannten sich erst gegenüber den Eroberern „Maoris“, was soviel heißt wie „die Ursprünglichen, die Eigentlichen“. Und Abel Tasman oder James Cook, sagen sie, haben uns keineswegs entdeckt oder gefunden, schließlich haben wir uns vorher gar nicht so verloren gefühlt.
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