: „Warme Kameras“
■ Auswahl der „32.Leipziger Dokumentar-und Kurzfilmwoche '89“ in Bremen
Was kann BremerInnen immer noch bewegen, sich DDR-Dokumentar -und Kurzfilme anzusehen? Es gibt zuviel Neues und so viele Medienschaffende. In den Redaktionsräumen des Fernsehens der DDR werden Ideen und Filmkonzepte deswegen nicht nur mit einem Tagesstempel versehen, die Uhrzeit wird gleich mitnotiert.
Einen winzigen Teil davon präsentiert jetzt das Kommunalkino Bremen zusammen mit der Angestelltenkammer. Die Medienwerkstatt Linden aus Hannover hat eine Video -Tournee der 32. Leipziger Dokumentar-und Kurzfilmwoche zusammengestellt, von der die Beiträge aus dem revolutionären Teil Deutschlands ge
zeigt werden. Die Arbeiten sind bis auf zwei Filme Wende -Produktionen. Das bringt eine Portion Spannung in das Programm, finden Ruth Geist-Reithmeier, Fernsehfilmerin der Reihe Klartext im Ost-TV und der unabhängige Filmemacher Martin Hübner, die sich derzeit in Bremen aufhalten. Sie berichten von radikal veränderten Bedingungen, wobei es der staatlich beschäftigten Regisseurin natürlich leichter ums Herz ist als dem Produktionsgelder zusammenkratzenden „Independent„-Filmer. Doch die finanziellen Gegebenheiten beeinflussen keineswegs die inhaltliche Qualität, wie beide beteuern, auch wenn „manchmal ein Drehteam dem anderen die noch
warme Kamera aus den Händen reißt“, so Frau Geist -Reithmeier. Nur „Enthüllungsfilme“ wird das Programm nicht enthalten, wenngleich die elf 99-Sendung Wandlitz Einzug ins Paradies über das ehemalige SED-Protzquartier dieser Kategorie angehört. Auch Jenseits von Wanzleben, ebenfalls am heutigen Abend ab 20 Uhr zu sehen, rechnet mit der Vergangenheit ab. Hier geht es um Aspekte der DDR -Entwicklungshilfe, die absurder gar nicht sein können. Preußens Knute mitten in Simbabwe - afrikanische Realität made by VEB „Bimbohilfe“. Die unabhängigen Beiträge sind zum großen Teil Zustandsbeschreibungen des Vorher-Nachher. In Makulatur 7/10/89 wird der 40.Jahrestag der Republik mit all seinen grotesken Begleiterscheinungen beleuchtet, von Aufmärschen, Freudenfeiern im Kindergarten, Fackelzügen und Friedensgebeten. Offground von Martin Hübner zeichnet die Berliner Jugendszene in Friedrichsfelde nach zwischen FDJ und Aufbruch.
Die Video-Beiträge sind ein Dokument des Übergangs, denn wohin die Filmproduktion in der Noch-DDR steuert, weiß keine. Das Fernsehen führt erstmals die freie Mitarbeit ein, Urheberrechtsfragen stehen plötzlich im Raum und die Machtlücke im Jahr Eins nach Erich-Mauer-SED -Jubelsozialismus muß erst geschlossen werden. In einem scheinen die FilmerInnen einig. Ein Umdenken als Knallerlebnis habe es nicht gegeben. Jürgen Franck
Das weitere Programm
Sonntag 19 Uhr: u.a. „Offground„; „Berlin auf Reisen„; „Makulatur 7/10/89„; „Es lebe die R.„; „Ist Leipzig noch zu retten?“. Angestelltenkammer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen