: Verstümmelt und zugenäht: Frauen in Somalia
■ Rechtlose afrikanische Frau: In Somalia wird jedes Mädchen in der Pubertät beschnitten / Während bei Männern frühe sexuelle Erfahrungen mit Prestigegewinn verbunden sind, ist Sexualität für die Frau das Leben lang tabuisiert und schmerzhaft
Mogadischu (dpa) - „Als die Frau ihre dreckige Tasche öffnete und das Messer hervorholte, hatte ich große Angst. Ich wurde ganz fest gehalten. Mehrere Frauen drückten meinen Rücken auf den Boden. Als mir die Beine auseinandergezogen wurden und die Hebamme die Operation begann, hatte ich große Schmerzen. Ich schrie und kämpfte verzweifelt, konnte mich aber nicht befreien. Noch nach all diesen Jahren erinnere ich mich sehr genau an den Schmerz und meine Angst.“
So beschreibt Sahra, eine somalische Hausfrau und Mutter von sechs Kindern, noch nach drei Jahrzehnten den schrecklichen Tag, als sie, siebenjährig, beschnitten und ihre Vulva zugenäht wurde. Raqiya Haji Dualeh Abdalla, stellvertretende somalische Gesundheitsministerin und eine entschiedene Gegnerin jeder Form von weiblicher Verstümmelung, beschreibt Sahras Fall in ihrem erschreckenden Buch Schwestern in Not.
Emanzipation ist Fremdwort
In Afrika ist Emanzipation noch weitgehend ein Fremdwort. Frauen verrichten die schwerste Arbeit, bestellen die Felder, sammeln Feuerholz, holen Wasser von weit her, tragen vielleicht noch mit einem kleinen Handel am Straßenrand zum Bareinkommen bei. Ihre Rechte sind dagegen begrenzt, die politische Mitsprache minimal. In den islamisch geprägten Ländern Afrikas kommt eine besondere Art der Entrechtung hinzu: Die Beschneidung.
Bei der mildesten Form wird nur die Vorhaut der Klitoris entfernt. Bei der Exzision, wie sie im Nordsudan üblich ist, wird die Klitoris zusammen mit den kleinen Schamlippen entfernt. In Somalia ist die drastischste Form der Beschneidung üblich: Exzision mit anschließendem Zusammennähen der großen Schamlippen (Infibulation). Nur eine winzige Öffnung bleibt bestehen, für den Abfluß von Urin und Menstruationsblut.
„In Somalia wird praktisch jedes Mädchen ohne Ausnahme beschnitten und die Mehrheit zugenäht“, schreibt Raqiya Dualeh. „Die Operation wird an jungen Mädchen vor Eintritt der Pubertät und gewöhnlich ohne Ritual vorgenommen, ohne Betäubung oder antiseptische Vorkehrungen.“ Männer und unbeschnittene Mädchen dürfen nicht zusehen.
In der Hochzeitsnacht greift mancher Ehemann zum Rasiermesser
Nach der Operation wird die Wunde mit ölgetränkten Lappen und besonderen Kräutern abgedeckt, und die Beine werden fest zusammengebunden. Nach sechs Stunden soll die kleine Patientin urinieren, um zu sehen, ob die Öffnung nicht zu klein geraten ist. Da das sehr schmerzhaft ist, halten viele ihr Wasser zwei, drei Tage lang zurück. Doch das ist nur eine von vielen möglichen Komplikationen. Unstillbare Blutungen, Verletzungen anderer Teile im Genitalbereich, Infektionen, Zysten und Abszesse sind häufig. Die psychologischen Folgen reichen von Schock über Frigidität bis zu Psychosen.
Die Familienehre erfordert, daß die verbleibende Öffnung so klein wie möglich ist, denn davon hängt für die Somalis der Wert und Ruf des Mädchens ab. Sahra mußte sich mit zwölf erneut der Prozedur unterziehen. „Es hieß, ich gelte nicht als anständiges Mädchen, wenn ich nicht fest zugenäht sei.“
Mit der Exzision und Infibulation sind die Leiden der Mädchen nicht vorüber. Wenn sie verheiratet werden, meist schon mit 15, müssen sie schmerzhaft wieder aufgeschnitten werden. Meist macht das wiederum eine Hebamme. Es kann aber auch passieren, daß der Ehemann in der Hochzeitsnacht mit Gewalt einzudringen versucht oder selbst zum Rasiermesser greift und mit seiner Braut kämpft, die vor Angst außer sich ist und sich verzweifelt wehrt. „Der Vollzug der Ehe ist von Angst und Schrecken begleitet“, schreibt Raqiya Dualeh.
Die Vereinten Nationen haben die weibliche Beschneidung als Verstümmelung gebrandmarkt, und die somalische Regierung versucht ihr vorsichtig entgegenzutreten. Aber alte Sitten sterben schwer. Den kleinen Mädchen wird schon frühzeitig von ihren Müttern, Großmüttern oder Tanten eingeredet, daß sie ohne Beschneidung nichts gelten, daß sie gemieden und später keinen Mann abbekommen würden - was leider auch stimmt.
Die somalische Gesellschaft, besonders ihre nomadische Hälfte, hat eine übersteigerte Auffassung von Familienstolz und -ehre, von Reinheit des Blutes und Jungfräulichkeit. Während männliche Jugendliche ihre Männlichkeit mit frühen sexuellen Abenteuern beweisen dürfen, müssen Mädchen unter allen Umständen unberührt in die Ehe gehen. Traditionelle Moslems wünschen sich eine unterwürfige, zurückhaltende Frau ohne eigene sexuelle Lust. „Die Frau wird als persönlicher Besitz, als Ding für das Vergnügen des Mannes und Gebärerin seiner Nachkommen betrachtet“, zitiert Raqiya Dualeh einen anderen Wissenschaftler. Weibliche Sexualität gilt als aktiv und gefährlich, als ein Trieb, der kontrolliert werden muß. Beschneidung und Infibulation sind die Mittel, die männliche Vorherrschaft sicherzustellen.
Raqiya Dualeh tritt der Auffassung entschieden entgegen, daß der Koran und die Lehren des Propheten die Beschneidung vorschreiben. In der Tat werden Beschneidung und Infibulation nur von einigen Moslem-Gesellschaften praktiziert. Die (Un-)Sitte hat vorislamische Ursprünge, wurde aber durch die allgemein frauenfeindliche Haltung des Islams verstärkt.
Die Folgen sind verheerend. Nicht nur die Hochzeitsnächte sind ein Alptraum. Jeder Geschlechtsverkehr ist schmerzhaft. Selbst nach 15 Ehejahren haßt Sahra noch den Geschlechtsakt. Die Unfähigkeit zum Orgasmus hat verbreitete Frigidität zur Folge.
Kein Wunder, daß die Scheidungsrate in Somalia hoch ist. Heinz Delvendahl
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