piwik no script img

Heinz Czechowski

■ Offener Brief an Helmut Richter

Sehr geehrter Kollege Helmut Richter!

Das SED-Literaturkarussell hat sich gedreht: Sie sind von Ihrem Genossen, dem Kulturminister Dietmar Keller, zum neuen Direktor des Literaturinstitutes „Johannes R. Becher“ berufen worden. Ich habe keinen Anlaß, Ihnen zu dieser Berufung zu gratulieren, bat Sie jedoch in einem gestrigen Telefongespräch persönlich, von dieser Berufung zurückzutreten. Sie lehnten, wie ich es nicht anders erwartet hatte, meine Aufforderung ab und beriefen sich dabei auf das Vertrauen'das Ihnen das Kollegium des Literaturinstitutes ausgesprochen hat. Auch das wundert mich nicht, handelt es sich doch dabei in der Mehrzahl um Genossen der SED bzw. PDS oder um jene, die, wie der Oberassistent Peter Gosse (ja, auch solche Titel gibt es unter Schriftstellern!), in letzter Minute vom fahrenden Zug abgesprungen sind. Und selbstverständlich konnten Sie sich auch auf jene bewährten „parteilosen Genossen“ wie NPT Hubert Witt verlassen, die von Brecht unter dem Strich offenbar nichts anderes gelernt haben, als wie man seinen Kopf in jedweder Situation aus jedweder Schlinge zieht ... Aber nicht darum geht es eigentlich. Sondern es geht um Ihre eigene Qualifikation zum Direktor des Institutes für Literatur, Kollege Helmut Richter! Um Ihnen gegenüber fair zu sein, habe ich mir Ihren von Dr. Klaus Walter zusammengestoppelten „Querschnittsband“ Über sieben Brücken mußt du gehn noch einmal vorgenommen. Es ist leider so: dieser Band, der quasi Ihr Gesamtwerk außer der Funktionärsprosa Das Auge der Schlange enthält, ist reine Makulatur! Noch 1983, als man über die ökologische Situation der DDR alles schon wissen konnte, wenn man wollte, veröffentlichten Sie den Text Der Schnee auf dem Schornstein, in dem die ökologischen Katastrophen unseres Landes zur anekdotischen Randglosse verharmlost werden ... Ich enthalte mich einer moralischen Bewertung derartiger „Prosa„; die möge der interessierte Leser selber finden! Sie sind, werter Kollege Helmut Richter, aber nicht nur ein schlechter Schriftsteller, sondern darüber hinaus auch noch ein Postenjäger von seltenen Gnaden, der in seinem Leben nichts ausließ, was ihm angeboten wurde. Die Annahme Ihrer jetzigen Berufung begründeten Sie gestern mit der Absicht, das Literaturinstitut vor dem Untergang retten zu wollen. Warum nicht gleich die ganze Menschheit? In solchen Größenordnungen denken doch Sie und Ihre Genossen immer, auch wenn dabei ganze Länder und Kulturen zugrunde gehen ... Sie und Ihresgleichen haben das Handwerk der Heuchelei von der Pike auf gelernt! Das sagte ich Ihnen schon gestern. Verdienen Sie denn dabei gar nichts? Und warum gehen Sie nicht an den Schreibtisch zurück, um wieder Schriftsteller zu werden? Soll ich es Ihnen sagen? Sie haben nicht nur das Schreiben verlernt, wie man annehmen könnte, sondern Sie sind niemals ein Schriftsteller gewesen. Ihr Buch Über sieben Brücken mußt du gehn offenbart es: Ihr „Werk“ ist nichts anderes als eine Ansammlung von Gefälligkeitsarbeiten, einschließlich jener Schnulze, die dem Buch den Titel gab! Ich hatte gehofft, daß das, was sich in der DDR vollzieht, ein wirklicher Umbruch sein könnte. Ich habe mich, wie ich schon lange weiß, geirrt. Ihre Berufung durch Ihre Genossen beweist mir, daß die SED-PDS weder willens noch fähig ist, einen Bruch mit ihrer Vergangenheit zu vollziehen. Ihre Berufung ist nur ein kleines Glied in einer langen Kette des Unrechts. Sie sind nur ein kleines Opfer der Politik der SED-PDS, aber Sie hätten die einmalige Chance gehabt, Flagge zu zeigen. Sie konnten es nicht. Das Direktorium des Literaturinstitutes ist nach wie vor ein SED-Nest, kein Hornissennest freilich, denn Hornissen haben ja bekanntlich Temperament und Charakter, was man von Ihnen und Ihren Kollegen nicht gerade behaupten kann. Wie sagte mir doch der von mir als Rezensent geschätzte Dozent Dr. Bernd Leistner gestern am Telefon: Er habe von all dem nichts gewußt und sei, als Sie gewählt wurden, im Westen gewesen und habe im übrigen nichts von Ihnen gelesen ... Der Mann ist fein raus! Sie nicht, falls Sie Ihr Buch Über sieben Brücken mußt du gehn noch einmal lesen sollten ... Wie schreiben Sie doch in Ihrem Lied? Manchmal scheint die Uhr des Lebens still zu stehn ... Na, für Sie und Ihre lieben fossilen Kollegen vom Literaturinstitut, die sicher jede Sintflut überleben werden, doch nicht ...

Mit vorzüglicher Hochachtung!

Heinz Czechowski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen