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„Eine vorübergehend gebremste Marktwirtschaft“

Dr. Rudi Rosenkranz ist Direktor des Textilmaschinenkombinats Textima in Karl-Marx-Stadt, zu dem 31 volkseigene Betriebe gehören  ■ I N T E R V I E W

taz: Gibt es noch eine Alternative zum Kollaps beziehungsweise zum Anschluß der DDR-Wirtschaft an die Bundesrepublik?

Rosenkranz: Die Gefahr eines Kollapses ist nicht gebannt. Aber ich vetrete nicht die Auffassung, die überall lauthals propagiert wird: Das Chaos stehe vor der Tür, es gebe hier nichts Erhaltenswertes. Das ist Zweckagitation, das dient dazu, die Moral der Menschen weiter runterzudrücken, und das dient bestimmten Leuten dazu, beim Aufkauf von Kapazitäten und Firmen ein leichtes Spiel zu haben. Nehmen wir an, es kommt die Wirtschafts- und Währungsunion. Glauben Sie denn, die Arbeiter bei Ihnen sind, nachdem die Subventionen gefallen sind, bereit, noch lange nur ein Drittel oder die Hälfte von dem zu verdienen, was ihre Kollegen in der Bundesrepublik nach Hause bringen?

Wir müssen den Menschen sagen: Das Warenangebot wird sich 1991 so und so entwickeln, durch diese oder jene Maßnahme wird die Wartezeit für ein Auto von vierzehn auf drei Jahre gesenkt. Wir müssen zeigen, daß wir in die Konsumgüterindustrie investieren. Das müssen garantierte Aussagen sein.

Wer soll denn diese „schrittweise Entwicklung“ bezahlen die Bundesrepublik?

Einbettung in die Weltwirtschaft bedeutet, auch die Kapitalbeteiligung weltweit zu betreiben. Die Bundesrepublik allein kann nicht diese Billion - oder vielleicht ist es noch ein bißchen mehr - aufbringen. Ich würde es auch keinem BRD-Bürger zumuten, uns etwas zu schenken. Viele BRD-Bürger würden dann sagen: Jetzt lebt ihr auf unsere Kosten, und unsere Leute würden sich gedemütigt fühlen. Daraus kann sehr schnell unkontrollierte Emotion entstehen. Deswegen bin ich gar nicht so sehr dafür, von Notopfer oder Sonderabgaben für die DDR zu sprechen. Man muß nur den Geldbesitzern - ob das nun staatliche Banken oder private Unternehmen sind, klarmachen, daß sich die Anlage lohnen wird.

Was machen Sie mit den unrentablen Betrieben?

Wenn dieses Land morgen dem freien Wind der Marktwirtschaft ausgesetzt wird, dann werden mehr als zwei Millionen arbeitslos, und das wäre die große Katastrophe. Wir müssen unsere Betriebe vorübergehend schützen - eine „vorübergehend gebremste Marktwirtschaft“. Auch hier muß es meßbare Schritte geben, was in diesem und was im nächsten Jahr abgebaut wird.

Wie viele Ihrer 31 Kombinatsbetriebe würden denn die Marktwirtschaft überleben?

Nach jetzigen vorsichtigen Schätzungen werden zehn bis zwölf unserer Betriebe nicht mithalten können. Die Ursache ist nicht die schlechte Arbeit der Menschen. Wir haben aus staatlich angeordneten Autarkiebestrebungen heraus ganze Betriebe schnell zu „Leuchttürmen“ entwickelt und anderen vierzig Jahre lang immer das Geld weggenommen. Den Menschen, die in diesen Betrieben arbeiten, kann man doch nicht sagen: So, jetzt seid ihr genauso der Marktwirtschaft ausgesetzt wie der andere Betrieb, der Investitionen auf eure Kosten durchgeführt hat.

Sie sind also dafür, alle oder fast alle dieser Betriebe zu erhalten?

Sicher, es gibt zwei oder drei Ausnahmen im Kombinat, die von der Größe her zu vernachlässigen sind. Da stelle ich die Frage, ob es nicht richtig wäre - auch aus Standortgründen -, sie aufzugeben. In diesen Fällen würde es auch gelingen, den Menschen ordentliche Arbeitsplätze zu geben.

Sie sagen, zehn bis zwölf Ihrer Betriebe sind marktwirtschaftlich nicht zu halten. Auf der anderen Seite sind Sie gegen Geschenke von außen. Direktinvestitionen und Kredite bekommen Sie doch nur mit einem aussichtsreichen Sanierungskonzept.

Sicher, aber wer investiert, weiß auch, daß das Geld nicht im ersten oder zweiten Jahr schon Gewinn bringt. Und ich brauche Kredite zu günstigen Bedingungen.

Langfristige Kredite mit Zinsen unter dem Marktniveau?

Ja. Und Kapitalinvestitionen.

Wie sieht es denn bei Ihrer Textima aus? Gibt es da noch Aussicht auf eine Unternehmensreform, oder zerfällt das Kombinat schon? In Ihrem Stammbetrieb, dem Spinnereimaschinenwerk Karl-Marx-Stadt, munkelt man, zwei Großbetriebe dächten ans Aussteigen.

Erst einmal: Die Kombinatsverwaltung wird drastisch reduziert - von 300 auf rund 50 Leute. Unsere Betriebe werden unnütze Verwaltung nicht länger finanzieren. Aber unsere Industrie zu zerstückeln hieße zur verlängerten Werkbank unserer Konkurrenz zu werden - also für einen Auftraggeber Teile und Baugruppen zu produzieren, in denen nicht viel Know-how enthalten ist. Mein Konzept für die Textima sieht vor, bis zum Jahr 2000 etwa 2,3 Milliarden D -Mark zu investieren, davon 600 Millionen fremdes Kapital. Das würde dann in zehn Jahren einen Fremdanteil von noch unter 20 Prozent bedeuten. Die Textima muß auch, im Rahmen dieser Summe, 100 Millionen im Ausland investieren, weil man auch vom Markt aus operieren muß.

Dann müssen wir auch die Breite unseres Produktionssortiments reduzieren. Da gibt es Chancen für Absprachen mit vielen Firmen in der Bundesrepublik und anderen Ländern. Das wird uns in die Lage versetzen, bestimmte Produkte in hohen Stückzahlen zu produzieren; das ist ja unser Hauptmangel, daß wir bisher - unter den Bedingungen der Autarkie - kein Produkt beiseite drücken konnten, um ein Forschungsergebnis „auszufahren“.

Wie wollen Sie verhindern, daß internationale Investoren sich die Rosinen herauspicken und separate Verträge mit einzelnen Ihrer Betriebe schließen?

Noch ist geltendes Recht, daß solche Verträge für das Kombinat, und damit von mir, unterschrieben werden müssen. Wenn das nicht erhalten bleibt, dann ist der erste Schritt getan, um die Großindustrie der DDR zu zerhacken. Außerdem: Ich frage bei jeder unserer Sitzungen mit den Betriebsdirektoren, wer die Absicht hat, aus dem Kombinat auszutreten? Bisher gab es da nur die übereinstimmende Erklärung: Nein, solche Gedanken gibt es bei uns nicht.

Könnte noch das Problem, daß frühere Eigentümer Ansprüche erheben, auf Sie zukommen?

Mir ist ein einziger Fall bekannt, wo der Verwandte eines ehemaligen Mitbesitzers eines Betriebes über Aktien aus dem Jahr 1932 verfügt und glaubt, daraus Rechte ableiten zu können. Diese Fragen werden bei einer dafür geschaffenen Institution im Minsterrat behandelt. Es müßte dann auch von Fall zu Fall geprüft werden, wo in der Bundesrepublik Entschädigung gezahlt worden ist oder wo es sich um Mittäter im Zweiten Weltkrieg handelt. Dazu kommt der Verfall im Zweiten Weltkrieg.

Vor fünf oder sechs Jahren hat mich mal der Vizepräsident einer ziemlich großen Firma aus den USA besucht, die ihre Fabrik zurückhaben wollte. Ich habe ihm gesagt: Wir fahren hin, und ich zeige Ihnen, was ich Ihnen zurückgeben müßte. Der Mann hatte Profil. Er hat sich anschließend entschuldigt und gesagt, wir sollten doch lieber über Geschäfte reden. Was die Rückgabe von Betrieben angeht, die wir von Bürgern der DDR gekauft haben, da liegen mir zwei Fälle vor, wo die früheren Besitzer sie zurückkaufen möchten - das sind heute Betriebsteile mit 20 bis 30 Beschäftigten. Ich habe beide Fälle positiv beantwortet.

Interview: Michael Rediske

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