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Wie Coca-Cola in Potsdam die SPD besiegte

■ Am Samstag schwebte über dem Potsdamer Marktplatz eine riesige Plastikbanane / Mehrere Westberliner Kaufhausketten verkauften in dichtem Gedränge Waren zum Kurs von 1 zu 1,5 / Der Gewinn soll für die Renovierung der baufälligen Altstadthäuser gespendet werden

Samstag früh gegen neun Uhr in Potsdam. Ich näherte mich, vom Hauptbahnhof kommend, dem Platz der Nation. Die Löcher im Radweg erfordeten eigentlich meine ganze Aufmerksamkeit, als sich vor mir in der Ferne plötzlich eine Vision offenbarte - eine Fata Morgana in Gestalt einer Banane. Riesig, gelb und appetitlich schwebte sie über dem vor mir liegenden Platz. Mein südfruchthungriger DDR-Instinkt signalisierte mir sofort drei Achtungszeichen und die Überlegung, daß dieser Bananenluftballon eventuell auf einen größeren Verkauf dieses begehrten Lebensmittels hindeuten könnte. Meine Erwartungen wurden angesichts des ganzen Platzes bei weitem übertroffen! Stände von Euro- und Pennymarkt, Coca-Cola und Jakobs Kaffee waren zu sehen sowie einige andere aus der schillernd-bunten Konsumwelt. Dazu kamen mehrere westliche Tageszeitungen und regionale Rundfunkstationen - sie alle hatten den sonst für Autos vorbehaltenen Platz vor dem Park Sanssousie in Beschlag genommen. Obwohl die Stände eben erst eröffnet worden waren, verwandelte sich der rund 250 Quadratmeter große Platz zusehends in einen Konsumhexenkessel. Mit weit aufgerissenen Augen und Mündern nahmen die Besucher das sich ihnen darbietende Angebot zur Kenntnis. Am Rande lief eine im Trubel fast völlig untergehende Wahlaktion von SPD und CDU.

Die einzigen, die das interessierte, waren Kinder. Mit Luftballons und Fähnchen ritten sie auf den Schultern ihrer Väter. Die Mütter orteten derweil mit geübtem Blick die aussichtsreichsten Stände. Sofort einsetzende Schlangenbildung und weiterhin anwachsender Zustrom von potentiellen Kunden war zu beobachten. Leute, die mit bereits erbeuteten Apfelsinennetzen von dannen zogen, wurden alle drei Meter angehalten und gefragt: „Wo jibsen die? Davorne! Isset da leer? Ne, müssen se sich anstellen oder durchschlagen!“ Und Frau Hinze fragt Frau Kunze: „Wat jibsen dahinten? Ick wees nich - Leute!“

Erfahren hatten die Potsdamer und die Bewohner der Umgebung von dieser Aktion über die Regionalzeitung. So war man selbst aus Oranienburg angereist, wie mir eine Frau, schnaufend mehrere Tüten und Beutel schleppend, mit Stolz erzählte. Organisiert war alles vom Westberliner Euro- und Pennymarkt sowie dem Potsdamer Einzelhandel. Im Grunde ein großangelegter Werbefeldzug der Westberliner Verkaufsketten, doch im Zeitalter der sogenannten sozialen Marktwirtschaft hatte man das ganze unter höhere Absicht gestellt.

Ein Teil der Einnahmen sollte nämlich dem im Dezember gegründeten „Förderverein für Potsdam“ zufließen und damit den Ausbau der touristischen Attraktivität der Stadt. Leider, so muß der Besucher von Potsdam feststellen, hat die Stadt einen solchen Förderverein bitter nötig. Potsdam ist fast 1.000 Jahre alt und eine der schönsten Barockstädte der DDR. Doch trotz seiner Stellung als Bezirksstadt führte sie ein jahrzehntelanges, trostloses Schattendasein neben der großmäuligen Hauptstadt Berlin. Der maßlose Zerfall der barocken Altstadt und des Holländerviertels machten inzwischen bereits mehrfach Schlagzeilen. Der Rat der Stadt, private Investoren und Bürgerinitiativen wie zum Beispiel „Argus“ werden die Stadtsanierung wohl in Zukunft fest im Auge behalten. Am Ende des Einkaufstraumas (13 Uhr) wurde die Hälfte der gemachten Umsätze in Form eines Schecks über 250.000 Ost-Mark an den Förderverein übergeben. Zu diesem Zeitpunkt rangelten sich zwar gerade an die 50 Leute um Werbefeuerzeuge von Radio Hundert,6, aber die Masse der Potsdamer dürften den gemachten Anfang mit Aufmerksamkeit registriert haben. Ansonsten wünschen sich die Bewohner natürlich für die Zukunft, daß ihnen jeden Tag das an diesem Samstag vorgeführte Angebot zur Verfügung steht. Die Preise in einem ungefähren Umrechnungskurs zur D-Mark von 1:1,5 bis 1:3 wurden als durchaus angemessen empfunden - zumindest von den Leuten, welche die Nerven aufgebracht hatten, sich in das Gewühl zu stürzen. Viele Eltern hatten ihre Kinder angesichts der Massen sofort sinnbildlich an die Leine gelegt oder waren auch mit leerem Korb und der Bemerkung umgedreht: „Komm, jehn wa lieber in de HO einkaufen, hier drängeln se dir ja halb dot.“

Die Konsumgesellschaft und mit ihr das große Geldgeschäft hat sich bereits erfolgreich durchgesetzt. Die Übernahme der volkseigenen HO (Handelsorganisation) ist mit Sicherheit von den Verkaufsketten eingeplant und wird von den meisten DDR -Bürgern sogar gewünscht.

Doch ob die Potsdamer jeden Tag eine große Banane in ihrem Stadtzentrum haben wollen oder schreiend bunte Leuchtreklamen auf den barocken Stadtfassaden - dagegen werden sie sich hoffentlich mit Nachdruck zur Wehr setzen.

Markstein

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