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Ein fabelhaftes Leben

■ Die Gräfin Maltzan stellte in der Buchhandlung Blessing ihre „Erinnerungen“ vor

Zum Beispiel dem König von Sachsen, der Vögel liebte, und sich nach der Revolution 1919 auf das Nachbarschloß Sibyllenort zurückgezogen hatte, wollte sie die Rohrsänger zeigen, die an den Teichen ihres Schlosses Militsch lebten.

Mit dem Stakboot glitten wir leise über die Krabownitze, ich zeigte dem König ein Nest, vor dem die Henne in Schreckstellung stand, während der Hahn dahinter im Reet zu sehen war. Der König war begeistert. „Die will ich beringen,“ sagte er. „Euer Majestät dürfen das nicht tun“, entgegnete ich. „Diese Tiere sind so scheu, daß sie womöglich für immer abwandern würden.„-„Und wenn ich es trotzdem tue?“ „Dann müßte ich Eure Majestät leider ersäufen.“ - „Wie willst du denn das schaffen?“ fragte er amüsiert.

Einschlägige Erfahrungen, wie man so etwas erfolgversprechend anpacken kann, hatte ich ja bereits bei meinem Bruder Carlos gesammelt. „Ganz einfach“, sagte ich, „ich gebe Eurer Majestät einen kleinen Buff und halt‘ die Beine.“ Die Vögel wurden nicht beringt...

So blitzpraktisch und selbstverständlich die zehnjährige Komteß Maria Helene Francoise Izabel von Maltzan, Freiin zu Wartenberg und Penzlin, siebtes Kind auf dem riesigen Schloß Militsch in Schlesien, ihre Freunde, die Rohrsänger, gegen die König von Sachsen schützte, so tat sie es später mit den Menschen, die von den Nazis verfolgt wurden. Wer waren deren Schergen schon gegen eine, die mit dem König von Sachsen fertiggeworden war.

Die nunmehr 81jährige Gräfin, deren eindrücklich krächzender Baß am Dienstag abend in der überfüllten Buchhandlung Blessing zu vernehmen war, ist die nämliche, die schon einmal in Lea Rosh‘ Talk-Shaw berichtete, wie sie neben anderen Verfolgten auch ihren späteren Mann, Hans Hirschel, über Jahre in ihrer Wohnung vor den Nazis versteckte und verteidigte: resolut, narzißtisch, anekdotisch pointiert, schnoddrig, eine abenteuernde Tier -und Menschenfreundin, eine, die ihr Leben als Räuberpistole anlegt und erzählt, eine, gegen die Widerstand zwecklos ist.

Ob sie vom geliebten Schloß Militsch erzählt oder davon, wie sie eine sechzigjährige Jüdin in zwei Stunden schwimmend über den Bodensee in Sicherheit bringt oder von ihrer Arbeit als Tierärztin beim Zirkus oder in ihrer immer noch betriebenen Berliner Praxis, sie tut es in Erzählsprache, lakonisch, deftig-ironisch, unverblümt, ausgestattet mit ei

ner superlativischen Adjektivkollektion: Was heute wahnsinnig, unheimlich oder tierisch wäre, ist bei der Gräfin Maltzan blendend, zauber-oder am liebsten fabelhaft. Zauberhaft ist z. B. auch ein inzwischen ausgestorbenes Sozialverhältnis, wie das von Münchener Kellnerinnen zu „ihrem Studenten.“ Der Hungerleider, den eine Kellnerin durchgefüttert hat, bis er dann Richter oder Regierungsrat ist, ist später ihre Altersversorgung. Wenn er nicht vorher fiel, so wie der Student der Kellnerin, von der die Gräfin er

zählte.

Eine respektlose Hochadlige, die aus ihrer Herkunft so stark lebt, wie sie sich davon nicht beeindrucken läßt, eine Frau, die sich nach ihrem Lieblingsbuch „Lederstrumpf“ inszeniert und Tod und Teufel nicht fürchtet, und der man das auch noch abnimmt, entzückt und fabelhaft unterhalten.

Uta Stolle

Nachzuprüfen in:Maria Gräfin von Maltzan. Schlage die Trommel und fürchte dich nicht. Erschienen bei Ullstein für neun Mark achtzig.

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