Kampf dem „Tittensender“

■ Nationale Kampagne gegen Sexsendungen von RTL plus / Luxemburg bangt um seinen guten Ruf

Den Stein ins Rollen brachte ein defekter Videorecorder. Ausgerechnet an Silvester hatte das Gerät seinen Geist aufgegeben und so sahen die Kinder der Familie Scheichen -Georges statt eines von den Eltern als pädagogisch wertvoll eingestuften Comicstrips im ehemaligen Landessender RTL plus Streifen ganz anderer Art. Während die Eltern bei Freunden das neue Jahr begossen, konnten die beiden halbwüchsigen Kinder der Familie daheim einen „Blick hinter die Kulissen einer Sex-Bar“ werfen und miterleben, „wie die frechen Teens ein heißes Ding drehen“. Zu vorgerückter Stunde - das neue Jahr war gerade eine Stunde und fünf Minuten alt - wagte das offenbar nur wenig ermüdete Geschwisterpaar via TV noch einen abschließenden Besuch im „Liebestollen Hospital“: Mit satten sechs Stunden Sexprogramm bediente RTL plus seine Fernsehgemeinde - darunter die beiden Kinder der Familie Georges - am Silvesterabend. Für die Mutter, Andree Scheichen-Georges, war das, was sie am nächsten Tag von ihren Kindern über das Programm des Vorabends erzählt bekam, „der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte“: Die streng katholische Frau organisierte spontan eine Unterschriftenaktion gegen die „zunehmende Sexlastigkeit“ des RTL plus-Programms und trat damit eine Lawine los, die mittlerweile für viele BürgerInnen des Großherzogtums zu einer nationalen Frage obersten Ranges geworden ist.

Mit tatkräftiger Unterstützung des örtlichen Pfarrers kamen allein in der engeren Nachbarschaft innerhalb weniger Tage weit über 1.000 Unterschriften zusammen. „Ich hätte nie gedacht, so eine Reaktion zu haben. Es ist, als hätten alle nur auf jemanden gewartet, der ihrem Unmut Ausdruck gibt“, erzählt Frau Georges nicht ohne Stolz. Parallel zur Unterschriftensammlung startete sie mit ihren Freundinnen des kirchlichen Vereins „Frauen und junge Mütter“ eine Leserbriefkampagne gegen den einstigen Landessender, der längst das Land verlassen hat und nun zum Ärger vieler Luxemburger aus der bundesdeutschen Metropole Köln sendet.

„Welches Bild von Partnerschaft in der Ehe sollen unsere Kinder bekommen, wenn sie schon tagsüber aus dem Fernsehen nur lernen, daß die Frau ein allzeit williges Lustobjekt des Mannes ist“, erklärt sie ihre Motive. Mit dieser Ansicht standen die christlichen Frauen offenbar nicht allein. Das konservative 'Luxemburger Wort‘ assistierte mit mehreren Leitartikeln und Kommentaren, „einige Dutzend“ Anrufe ermunterten die wackeren Streiterinnen für „sittliche Erziehung und Moral“ (Eigenbeschreibung) und die Unterschriftenlisten wurden länger. Aber es gab auch andere Reaktionen: „Anonyme Anrufer meinten, ich sei nur sexuell verklemmt, und einer drohte sogar, mein Haus in die Luft zu sprengen, wenn ich nicht sofort aufhörte“, erzählt Frau Georges.

Aber nicht nur unter der Luxemburger Bevölkerung machte sich der Unmut über die Sexlastigkeit des Kommerzsenders breit, auch im Sender selbst bangt man inzwischen um den „mühsam aufgebauten Ruf“, den sich politische Magazine wie „Spiegel-TV“ oder „Explosiv“ erkämpft hätten. Auch die konservativen Briten dürfen RTL plus jetzt nicht mehr sehen; die britische Kabelaufsichtsbehörde hat die Verbreitung des Senders wegen seiner Sexprogramme untersagt. Die Programmverantwortlichen antworteten mit Beteuerungen, man wolle das Programm überdenken. Doch trotz der angekündigten Reduzierung der Sexprogramme um zwei Prozent („mehr geht nicht, das sind unsere Zugnummern“, so ein Redakteur hinter vorgehaltener Hand) stoßen die Versprechungen zunehmend auf Skepsis. Kurz nach Bekanntgabe der Sexeinschränkungen überraschte der Kommerzsender mit einer neuen Spielshow „Tutti Frutti“. Ihren Unterhaltungswert zieht die „Erotik -Show“ vornehmlich aus Stripszenen der Kandidaten und vor allem Kandidatinnen.

Für die Luxemburger RTL-KritikerInnen ist spätestens seitdem eine Forderung konsensfähig, die aus der „spontan und ohne politischen Hintergrund“ entstandenen Unterschriftenaktion der Hausfrau Andree Scheichen-Georges ein landesweit diskutiertes Politikum macht. „Wenn der Sender schon nicht bereit ist, ernsthaft sein Programm umzustellen, soll er wenigstens den Namen unseres Landes aus seiner Firmenbezeichnung streichen“, erläutert ein Aktivist die neue „nationale Forderung“. Das im kleinen Großherzogtum einflußreiche 'Luxemburger Wort‘ sieht gar „das Niveau unserer Kultur, an der jahrhundertelang gearbeitet wurde“ wegen „mutwilliger und aus niedrigsten kommerziellen Überlegungen“ heraus angestellten Betreibungen des Senders in Gefahr und beschwört seine LeserInnen: „Luxemburg hat sowieso schon einen schlechten Ruf in Europa. Man wirft uns vor, wir würden für Geld alles tun. Die Pornosendungen sind Wasser auf die Mühlen unserer Kritiker.“ Auch ranghöchste Politiker des kleinen Großherzogtums nahmen die „nationale Herausforderung“ an. „Wie lange noch können wir es zulassen, daß der Name unseres Landes besudelt wird durch von RTL plus ausgestrahlten Schund?“ rief vor kurzem sogar der sonst eher für seine Gelassenheit bekannte Premierminister Jacques Santer seinen christdemokratischen Parteifreunden kämpferisch entgegen.

Andree Scheichen-Georges hat unterdessen ebenfalls prominente Schützenhilfe für ihre Forderung nach einer Umbenennung des einstigen Landessenders gefunden. „Ändere dein Leben, oder ändere deinen Namen“, reklamiert sie einen Spruch Alexanders des Großen für ihr Anliegen. Mit dem Spruch rügte dieser einst einen Soldaten, der neben einem unmoralischen Leben auch den gleichen Namen wie sein Herrscher führte.

Thomas Krumenacker