: Ein Unfalltor dank Helmut Kohls
Osram zeigt sich Philips überlegen, und die Fahrräder bleiben im Schuppen / Bayern München - PSV Eindhoven 1:0 ■ Aus Eindhoven Bernd Müllender
„Uitverkocht“, was niedlicherweise ausverkauft heißt, natuurlijk, das kleine Philips-Stadion ist proppenvoll, wenn diese Bayern kommen. Spiele gegen deutsche Teams sind beim kleinen und selbstbewußten Nachbarn immer etwas ganz besonderes. „Die Zeit 40-45“ sei zudem nicht vergessen, erklärt vor dem Viertelfinalrückspiel ein Fan der „supportersvereiniging“, der Krieg, die Arroganz der Moffen von nebenan. Beim Euro-Triumph vor zwei Jahren in Hamburg „haben wir erst ein Fahrrad unserer Oma zurückgeholt“. Was Wiedergutmachung heißen soll, nachdem die Wehrmacht den Niederländern ihre Nationalheiligtümer auf zwei Rädern („Das Fahrrad ist unser Mercedes Benz.“) konfisziert hatte. Und die Omas vermissen noch viele Räder.
Von den Bayern hätten sie zudem besonders gerne welche zurück, denn vor vier Jahren schied der PSV schon einmal gegen die Münchner aus, und zudem hätten die „immer so unverschämt viel Glück“, sagt ein anderer Fan, bevor er in den wüst lärmenden, 27.000köpfigen Fanblock abtaucht. Das habe man ja vergangenes Wochenende gegen Frankfurt noch beobachten können. „Und wenn, dann schießen die Bayern nur Unfalltore.“
Ein einziges Törchen hätte der Philips-Elf gereicht, aber die Glühlampenkicker spielten, als wollten sie nur eins verhindern. Was der Startruppe auch gut täte, hat sie doch zuletzt in den Ligaspielen Gegentore in einer Zahl kassiert, die, so ihr Trainer Guus Hiddink, „für einen Meister unwürdig sind“.
Von noch größerer Würdelosigkeit war am Mittwoch das Offensivspiel - ein Wackelkontakt nach dem anderen im Philips-Sturm. Grauenvoll anzusehen, was sich die beiden Starensembles mit fast ausnahmslos Nationalkickern zurechtbolzten. Nichts, aber auch gar nichts außer Brechstange mit kick-and-rush die PSVler, zaghaftes Konterbemühen ohne Biß die Bayern. Wohlfarth scheiterte, mit zwei Ausnahmen, immer wieder in den blankwadigen Grätschen des Stoppers Stan Valckx. Reuter und vor allem der zappelige Dorfner spielten, als wollten sie den Beckenbauer Kaiser, der sie immer wieder für nationalteamfähig hält, zur Demission zwingen. Pflügler weiß, das ein Platz höher als weit ist, und schießt regelmäßig entsprechend. Grahammer foulte (seinen flinken Gegenspieler Povlsen) genau einmal weniger, als daß er vom Platz fliegen würde.
Und all das reicht, wenn man keine Sekunde nachlässig ist, um die Strafräume leerzufegen. Der wieder arg gesichtsrote Trainer Jupp „Osram“ Heynckes sah denn „durch die Lufthoheit und Kampfstärke die Abwehr als Garanten des Sieges“. PSV -Coach Hiddink, der sich für die Seinen nicht entschuldigte, wünschte „dem Kollegen Jupp, daß ihm das Halbfinale schmecken wird“.
All dies erklärt noch nicht den Sieg. Die Bayern müssen sich, trotz der gewaltigen Choräle auf den Rängen, sehr heimisch gefühlt haben: „CSU reinigt, CSU beveiligt“ warb da groß die Bande (wobei letzteres, oh eigenwilliges Niederländisch, absichern heißt), und, zudem, der Schiedsrichter hieß, ja wirklich, allen Ernstes, Helmut Kohl, kam allerdings eigenwilligerweise aus „Oostenrijk“, was nicht Oggersheim heißt, sondern Österreich. Dieser Mann nun pfiff oftmals sozusagen großdeutsch, ganz wie zu Omas Zeiten also, was ihm bisweilen wütende „Nazi, Nazi„-Zurufe einbrachte.
Seinen finalen Auftritt hatte dieser Helmut Kohl II. In der Nachspielzeit. Der eingewechselte Jungbayer Bender, der für den völlig ungenießbaren McInally gekommen war, stolperte vor des Gegners Strafraum, foulte sich dabei ungestümerweise selbst, doch der schwarze Mann pfiff Freistoß. Den knallte Augenthaler mit aller Restkraft nach vielen Befreiungsschlägen, Sensensprüngen und Scherenschlägen Richtung Mauer, traf die Hacke ausgerechnet des besten Philips-Mannes, Altverteidiger Eric Gerets, und von dort trudelte die Kugel in aller Ruhe in der 96. Minute ins leere Tor.
Dies war, armes Holland, das Unfalltor schlechthin. Die geklauten Fahrräder bleiben in den deutschen Schuppen, und niemand außer Helmut Kohl muß es verantworten, daß die Verletzlichkeit der Menschen an ihrer holländischen Westgrenze nach wie vor akut bleibt.
EINDHOVEN: van Breukelen - Gerets, Nielsen (68. de Jong), Valckx, Heintze - van Aerle, Vanenburg, Boerebach (76. Ellerman), Lerby - Povlsen, Kieft
MÜNCHEN: Aumann - Augenthaler - Grahammer, Kohler, Pflügler
-Reuter, Dorfner (65. Flick), Strunz, Kögl - McInally (65. Bender), Wohlfarth
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