: Müllers Lust
■ Hotel Terminus, 1, Mo., 26.3., 22.40 Uhr, 2, Mi., 28.3., 22.40 Uhr, ZDF
Geschichte“ hat Hochkonjunktur. Allerdings ist damit fast immer die Gegenwart gemeint, die bereits als große Vergangenheit betrachtet wird: Geschichte auf Pump. Der gegenwärtige Kanzlerdarsteller ist Meister darin, sich selbst als „historische“ Figur zu sehen. Für die wirkliche Geschichte, die wirkliche Vergangenheit der Deutschen ist der gelernte Historiker weniger sensibel. Wie könnte er sonst die Wiedervereinigung im teutonischen Stil der dreißiger Jahre angehen, als das deutsche Volk sich daran machte, endlich „die Schmach von Versailles“ auszutilgen.
In diesen Tagen der patriotischen Amnesie Marcel Ophüls‘ langen Dokumentarfilm Leben und Zeit des Klaus Barbie in einem Hauptprogramm des Fernsehens zu zeigen, dazu noch zu einer halbwegs passablen abendlichen Sendezeit, verdient Respekt.
Ophüls hat die Aussagen von rund hundert Zeuginnen und Zeugen von der Auschwitz-Überlebenden bis zum CIA-Agenten im Ruhestand verwendet, um die Laufbahn des Henkers von Lyon zu verfolgen. Die Stationen dieser Erfolgslaufbahn: Besuch eines Provinzgymnasiums in der Eifel - rascher Aufstieg in der SS-Hierarchie - die großen Jahre als Gestapo-Chef in Lyon - nach Kriegsende Weiterverwendung durch den US -Geheimdienst - 1951 Flucht nach Bolivien, wo Barbie als Experte wieder einen geheimen militärischen Repressionsapparat aufbaut - nach außen dort biederes Leben als Geschäftsmann Klaus „Altmann“ - in den siebziger Jahren Enttarnung durch das Ehepaar Klarsfeld - 1983 Auslieferung an Frankreich - erst als alter Mann Sich-verantworten-Müssen vor einem Strafgericht. Ophüls isoliert die Nazi-Zeit also nicht als Betriebsunfall der Geschichte, er zeigt vielmehr, daß sie in einer Tradition steht und daß sie Fortsetzungen hat. Und er stellt Barbie nicht als blutrünstiges Ungeheuer dar, sondern als einen Menschen, mit dem jeder von uns die eine oder andere Gemeinsamkeit hat.
Die 'FAZ‘ hat das mißverstanden. Sie benutzt ausgerechnet diesen Film als Anlaß für eine der üblichen entschuldigenden Relativierungen: „Für die Deutschen, deren Kollektivschuld Marcel Ophuls, als deutscher Jude in Frankfurt a.M. geboren, schon kurz nach dem Krieg bestritten hat, ist Hotel Terminus ebenso schmerzlich wie tröstlich. Er beweist unwiderlegbar, daß man für intelligente und gut erzogene Gelegenheitsmörder auf der ganzen Welt und zu allen Zeiten Verwendung hat, nicht nur in Deutschland, nicht nur damals.“ Ganz so hat Ophüls das wohl nicht gemeint. „Das Wandern ist des Müllers Lust“ (als fast wagnerisches Leitmotiv des weltläufigen Henkers) und andere deutsche Volkslieder in der Interpretation der Wiener Sängerknaben begleiten unentwegt die Filmbilder. Das Lyoner Folter-Hotel „Terminus“ und Auschwitz sind für Ophüls eben doch spezifische Leistungen der widersprüchlichen, unausgegorenen deutschen Kultur.
Es gibt noch andere Zeichen eines konsequenten Formwillens, der diesen Dokumentarfilm so einprägsam macht. Entscheidend ist, daß Ophüls seinen subjektiven Standpunkt nicht verbirgt. Als Interviewer einer Zeitung hat er gesagt: „Zur Hölle damit, den Holocaust als 'Lehrstoff‘ zu behandeln. Klage an und sei wütend! Früher baute ich auf eine gewisse Ironie. Heute scheint mir eher Sarkasmus angebracht. Für mich ist der größte Feind, größer als Barbie oder der CIC, die moralische Gleichgültigkeit.“ Diese Haltung bringt Ophüls auch als Interviewer im Film deutlich zum Ausdruck. Sein Sarkasmus ist besonders da erkennbar, wo der Film zeigt, wie sich die Henker und ihre passiven Helfershelfer der Öffentlichkeit zu entziehen versuchen, wie sie sich drehen und winden und drücken.
Überheblich wird Ophüls dabei nicht. In der Diskussion nach der deutschen Erstaufführung im Berlinale-Forum 1989 hat er drei entscheidende Fragen gestellt und für sich selbst zu beantworten versucht: Wäre ich unter geeigneten Umständen ein Klaus Barbie geworden? Wohl nicht. - Wäre ich ein Held, wenn ich einem Folterer wie Barbie in die Hände fiele? Wohl auch nicht. - Würde ich versuchen, im geeigneten Moment einen unbekannten Nachbarn vor dem Zugriff eines Barbie zu retten? Ich weiß es nicht. - Seinen Film widmet Ophüls am Ende der unbekannten Nachbarin, die 1944 tatsächlich versucht hat, ein jüdisches Kind vor dem Abtransport durch Barbies SS zu retten.
Hotel Terminus ist ein Beweis, daß auch lange Dokumentarfilme packend sein können und daß das Gepacktwerden ein unverzichtbarer Teil der Aufklärung ist. Warten wir ab, was davon auf dem kleinen Bildschirm übrigbleibt. Übrigens: Ist die Zweiteilung so eines Films im Fernsehen eigentlich wirklich unvermeidlich? Noch längere Wagneropern werden uns ja auch am Stück zugemutet.
Horst Pöttker
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen