: Auf ins Grüne!
■ Die Radtour - das unbekannte Wesen: Schlecht vorbereitet, weil sehr spontan, radeln allsonntäglich ganze Familien in die Landschaft, Katastrophen der fahrrad- und den Familienfrieden demolierenden Art eingeschlossen.
Wie man eine solche Tour richtig vorbereitet, beschreibt
AXEL VON BLOMBERG
enn am Sontagmorgen die Sonne auf den Tisch bei Hübners scheint, kann es passieren, daß Sohn Max vorschlägt, endlich mal eine richtige Radtour zu unternehmen. Meist gibt es ja andere wichtige Dinge wie Mopedbasteln und ähnliches zu tun, oder man kann sich mit einem Defekt am Rad rausreden. Aber manchmal packt es dann irgendwie alle.
Und dann kommt dieser merkwürdige sportliche Ehrgeiz auf, der sämtliche Unzulänglichkeiten des Fahrrades zu einer Herausforderung werden läßt: Mutter Hübner glaubt diesmal, sicher besser auf dem weißen, aber unbequemen Plastiksattel sitzen zu können, Lucie fällt ein, daß im Herbst der erste Gang nicht mehr reinzukriegen war - „aber jetzt bin ich wohl schon kräftiger geworden, und Paps fährt ja mit„; es wird schließlich auch mal ohne eingestellte Gangschaltung gehen. Und wie war das mit der Luft im Hinterreifen? Nun, dann muß halt mal unterwegs nachgepumpt werden, weil man zu faul ist, nach dem Löchlein im Schlauch auf die Suche zu gehen. Auch das Licht ist in einem jämmerlichen Zustand, aber „wir wollen schließlich vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause sein“.
Da fährt also unsere Familie los: Die lütte Lucie auf einem Rädchen, bei dem sie fast mit den Knien am Lenker anstößt, Max auf seinem Rennrad ohne Schutzblech, ohne Rücklicht und mit defekter Hinterbremse, Mutter Hübner mit dem sauberen, aber klapprigen Etwas, das sie vor Jahren in einem Kaffeegeschäft gekauft hatte, nur der Vater, allen voran und stolz wie Oskar - Angabe muß sein -, auf seinem neuen Alu -Mountain-Bike mit spiralgefedertem Ledersattel, 18 Gängen und Bremsen, die aussehen, als ob man mit den Backen bequem einen Trabi abbremsen könnte.
n Maxens Rad hört der Vater schon beim Bäcker die Bremse schleifen. Er lockert die Bremse, indem er mit seiner Zange die Rändelmutter bearbeitet, daß die Aluspäne silbern auf dem Schutzblech liegen. Wie das richtige Werkzeug für diese Reparatur aussieht, ist ihm nur dunkel in Erinnerung.
Der Vorschlag, mit der S-Bahn bis zum Waldrand zu fahren, wird wegen des Fahrpreises verworfen. Und obwohl die Tochter beim Frühstück von dem neuen asphaltierten Weg am Sportplatz erzählt hat, reitet der Familien-King allen vorweg in die dicksten Pfützen hinter der Kläranlage. Mit seinen breiten Stollen macht ihm der Weg nichts aus. Auch Max macht das Spaß: Spprtsch... Maxens Rücken ziert jetzt eine braune, nasse Spur. Lucie muß mitten in der Pfütze abspringen, weil es im dritten Gang zu schwer zu treten war, jetzt ist auch sie völlig eingesaut. Und erst als alle die Nase voll haben, wird nach einem zivileren Weg Ausschau gehalten. Nur weiß niemand, wie man über die Schnellstraße kommt, weil man natürlich keine Karte dabeihat. Der Familienrat diskutiert und friert dabei im Wind, überlegt, ob man umkehren soll. Aber aufgegeben wird nicht, und so geht die Fahrt weiter auf der Suche nach einer Brücke über die Schnellstraße.
Vatern springt immer der 17. Gang raus, und er will sich noch morgen beschweren gehen, als Max mitteilt, das Lucies Rad nun aber ganz platt aussieht. Kein Problem: Fast alle haben Luftpumpen dabei. Vater Hübner hat eine dunkelgrüne mit Schloß. Aber erstens weiß er nicht, wo der Schlüssel ist, und zweitens paßt sie eh nicht, weil sie nämlich für Motorradventile konstruiert ist, wie bei Mountain-Bikes üblich. „Max, mach du doch mal!“ - „Geht nicht, ich hab‘ französische Ventile.“ Lucie flennt - alle schieben mit heißen Wangen und nassen Schuhen solidarisch ihr Fahrrad durch den Dreck: das Ende einer Radtour.
iese Geschichte spielt sich so oder ähnlich fast jedes Wochenende irgendwo in Westdeutschland ab. Die Westberliner, bislang mauerumgeben in ihrem kultivierten Grün vor solcher Unbill beschützt, werden durch die Entdeckung des vielgerühmten Umlandes mit solchen Erfahrungen erst noch konfrontiert werden. Schlaglöcher, unbeschilderte Kreuzungen, nicht verzeichnete Truppenübungsgelände, Wege mit knöcheltiefem Zuckersand oder verschlickte Uferwege harren jetzt in der näheren Umgebung.
Selbst nur kleinere Schienenrekonstruktionsarbeiten mit dementsprechendem Schienenersatzverkehr auf der Straße am Wochenende erweitern den Erfahrungshorizont schnell um das Wissen, daß Trabifahrer deswegen auf den rechten Außenspiegel verzichten, damit sie auch bei entgegenkommenden Lastwagen noch ganz knapp eine Familie Hübner überholen können. Es dauert nämlich furchtbar lange, wenn man mit 27 PS wieder auf 100 beschleunigen muß. Da müssen wir Radler doch etwas Nachsicht üben und in den Graben hopsen.
eshalb ein paar kleine Tips, die vor einer Radtour zu beachten sind:
-Ketten und Bowdenzüge ölen und ergänzen;
-Sattelposition korrigieren, falls verschiedene Räder zur Auswahl stehen, und mit der Wegstrecke abstimmen (breite Reifen federn, sind aber meist langsamer);
-Wetterbericht hören und die entsprechende, aber dennoch möglichst leichte Kleidung anziehen;
-etwas zu essen und reichlich zu trinken mitnehmen (in der Pampa stehen die Kioske nicht massenhaft herum);
-Werkzeug und passende Luftpumpen beziehungsweise Adapter einpacken;
-aktuelle Radwanderkarten und Tips mitnehmen;
-nicht den Hauptautorouten folgen, aber auch nicht jeden Holperweg bezwingen wollen;
-rechtzeitig aufbrechen, Varianten für die Route überlegen; Anfänger sollten eher weniger Kilometer planen;
-Kondition und Stimmung der einzelnen Teilnehmer beachten, den Schwächsten nicht durch unsinnigen Leistungsstreß überfordern;
-ein tourenuntaugliches Rad gegebenenfalls mit neuem Zubehör ausstatten.
Wer derart ausgestattet und vorbereitet ist, kann getrost eine Radtour machen, zumindest wenn es sich um einen Tagesausflug handelt. Katastrophen, wie sie unsere Familie Hübner erlebte, sind dann mit Sicherheit vermeidbar. Einen Ausflug mit dem Auto macht man ja auch nicht in einer Schrottkiste mit leerem Benzintank, oder?
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